Berlin – Im Fall Wirecard und der Rolle der Politik dabei rücken nun auch das Bundeskanzleramt und Kanzlerin Angela Merkel in den Fokus. Anlass ist eine China-Reise Merkels im September 2019, auf der sie das Thema Wirecard angesprochen hat – Hintergrund war ein beabsichtigter Markteintritt Wirecards in China. Aus Sicht von Linken-Chefin Katja Kipping soll sich nun auch Merkel bei der geplanten Sondersitzung des Finanzausschusses des Bundestags in der kommenden Woche Fragen stellen.
„Der Wirecard-Skandal zieht immer weitere Kreise“, sagte Kipping am Dienstag. „Wir sehen scheinbar erst die Spitze des Eisbergs. Da jetzt auch das Bundeskanzleramt in den Informationsfluss eingebunden war, muss auch Bundeskanzlerin Merkel sich jetzt den Fragen dazu stellen, was genau sie gewusst hat.“ Wirecard hatte im vergangenen Monat zuerst Luftbuchungen in Höhe von mutmaßlich 1,9 Milliarden Euro eingeräumt und wenig später Insolvenz angemeldet.
Das SPD-geführte Bundesfinanzministerium erklärte einem Medienbericht zufolge, das Kanzleramt vor der China-Reise von Merkel (CDU) zum Fall Wirecard informiert zu haben. „Am 23. August 2019 hat das Bundesfinanzministerium auf Anfrage des Kanzleramts per E-Mail verschiedene Informationen zum Fall Wirecard weitergegeben“, zitierte der „Spiegel“ am Dienstag einen Sprecher des Ministeriums. „Das Bundesministerium der Finanzen hat an das Bundeskanzleramt auf Arbeitsebene auf – im Übrigen öffentlich bekannte – Vorwürfe gegen das Unternehmen Wirecard hingewiesen.“ Das Finanzministerium äußerte sich auf Anfrage zunächst nicht zu dem Bericht.
Der mutmaßliche Betrugsskandal beim inzwischen insolventen Dax-Konzern Wirecard hatte die Bundesregierung zuletzt in Erklärungsnot gebracht. Zentrale Fragen sind, wann genau die Regierung von Unregelmäßigkeiten bei dem Zahlungsabwickler wusste und ob sie zu wenig dagegen unternommen hat. Es geht auch darum, ob die Bundesregierung womöglich Wirecard unterstützte.
„Wenn die Bundeskanzlerin gegenüber einer ausländischen Regierung Interessen deutscher Unternehmen zur Sprache bringt, ist das zwar grundsätzlich gut und richtig, vor allem in Ländern wie China, wo ohne politische Kontakte nichts geht“, sagte der finanzpolitische Sprecher Florian Toncar. „Aber es schadet dem Ansehen der Bundesrepublik massiv, wenn sich die Regierungschefin offiziell für ein Unternehmen starkmacht, das in den größten Bilanzbetrug seit Langem verwickelt ist“, sagte er.
Der Finanzausschuss plant zum Fall Wirecard für den 29. Juli eine Sondersitzung. Neben Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sollen auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Vertreter etwa der Finanzaufsicht Bafin geladen werden.