München – Der Skandalkonzern Wirecard ist ohne Betriebsräte und mitbestimmten Aufsichtsrat in die Insolvenz gegangen. Zumindest bei anstehenden Kündigungen oder der Ausarbeitung von Sozialplänen wollen sie noch mitreden. Deshalb haben Mitarbeiter des insolventen Skandalkonzerns Wirecard jetzt erste Betriebsräte für Tochterfirmen auf den Weg gebracht. Darunter ist mit der Wirecard Bank AG auch ein nicht insolventer Teil des Zahlungsdienstleisters, der diesen Freitag aus dem Dax geworfen wird. Insgesamt drei Wirecard-Töchter haben am Donnerstag Wahlversammlungen für einen Betriebsrat durchgeführt. Drei weitere kommen voraussichtlich nächsten Dienstag dazu, sagt der bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi für Fintechs wie Wirecard zuständige Kevin Voss. Am 28. August stehe dann auch die Wahl eines Betriebsrats für den Wirecard-Dachkonzern auf der Tagesordnung. Formal gewählt wird in den nächsten Wochen. Damit hätten dann alle rund 1500 im Pleitekonzern in Deutschland Beschäftigten eine solche Vertretung. Sie erhoffen sich davon bessere Chancen auf Mitsprache in der Abwicklung des spektakulären Insolvenzfalls.
Falls der vorläufige Insolvenzverwalter Michael Jaffé wie zuletzt angekündigt, das Wirecard-Kerngeschäft als Ganzes verkaufen kann, könne voraussichtlich ein Drittel der 1500 heimischen Arbeitsplätze gerettet werden, schätzt der Verdi-Experte. Bei einer Zerschlagung in Einzelteilen wären es noch deutlich weniger. Als für Käufer interessant gilt die Wirecard-Technologie, während der Firmenname als verbrannt und wertlos angesehen wird.
In Deutschland ist es sehr ungewöhnlich, ohne Betriebsrat in den Dax aufzusteigen. „Es hat in den letzten Jahren zwei Initiativen zu einer Gründung gegeben, die am Management gescheitert sind“, erklärt Voss. Auch seitens der Belegschaft sei der Drang zu einer solchen Mitarbeitervertretung aber nicht groß gewesen. Hätten die Mitarbeiter überwiegend einen Betriebsrat und Mitbestimmung im Aufsichtsrat gefordert, gäbe es das heute schon, räumt Voss ein. Bei Jungunternehmen aus dem Bereich Finanztechnologie sieht das überwiegend junge und oft gut bezahlte Personal vielfach Betriebsräte als veraltet an. Erst wenn Not am Mann ist, wie jetzt bei Wirecard, ändern sich dann die Einstellungen.
Voss ist sich sicher, dass die Betrügereien und das Erfinden großer Teile des Asien-Geschäfts bei einem mitbestimmten Aufsichtsrat nicht so lange unentdeckt geblieben wäre. „Das wäre uns aufgefallen“, sagt der Verdi-Experte, was hypothetisch bleibt.
Wirecard hat nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft alle in den Bilanzen seit mindestens 2015 ausgewiesenen Gewinne und große Teile des Umsatzes frei erfunden. Als erste Kontrollinstanz hat dabei auch der Wirecard-Aufsichtsrat versagt. Untätig blieben ferner Wirtschaftsprüfer und die Finanzaufsicht Bafin.
Als potenziell verkäuflich gelten bei Wirecard das Geschäft in Europa und den USA. Das Asien-Geschäft dagegen dürfte im Wesentlichen nur auf dem Papier existiert haben. Deshalb ist auch fraglich, ob für den Konzern wirklich weltweit 5800 Leute gearbeitet haben. Hinter den asiatischen Beschäftigten muss man wohl auch ein Fragezeichen machen.
T. MAGENHEIM-HÖRMANN