München – Nachdem die Zahl der positiv auf das Coronavirus Getesteten in Deutschland wieder gestiegen ist, herrscht in vielen Unternehmen Unsicherheit. „Vor allem der Mittelstand ist alarmiert, hat er doch zusammen mit den Selbstständigen die Hauptlast des ersten Lockdowns im Frühjahr zu tragen gehabt“, warnte gestern der Bundesverband der Mittelständischen Wirtschaft in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die 16 Ministerpräsidenten der Bundesländer.
„Ein erneutes Herunterfahren von öffentlichem Leben und Geschäftsleben wie im Frühjahr würde erheblich größere Schäden in der Wirtschaft und vor allem im Mittelstand zur Folge haben als beim ersten Mal.“ Denn viele Betriebe hätten ihre Reserven aufgebraucht.
Gleiches gelte für die Finanzkraft des Staates. „Für einen zweiten ,Wumms‘ in der Größenordnung von mehr als einer Billion Euro fehlt das Pulver – es wurde bereits verschossen“, heißt es in dem Brief. Die Unterzeichner, darunter Verbandspräsident Mario Ohoven, sehen die „ökonomische Zukunftsfähigkeit Deutschlands“ auf dem Spiel. Millionen Arbeits- und Ausbildungsplätze seien bedroht. Die Politik dürfe nicht erneut „einem überzogenen Infektionsschutz“ den Vorrang vor dem Schutz von Wirtschaft und Wohlstand geben. „Ein zweiter Lockdown wäre wie ein zweiter Herzinfarkt: deutlich gefährlicher als der erste.“
Ohoven und die Mitunterzeichner forderten Merkel und die Ministerpräsidenten dazu auf, einen zweiten Lockdown verbindlich auszuschließen, damit der Mittelstand wieder zuversichtlich in die Zukunft blicken könne.
Rückendeckung erhält die Mittelstandsvereinigung aus Industrie und Handwerk: „Ein zweiter flächendeckender Lockdown wäre der größtmögliche Schaden für die Wirtschaft und für den sozialen Zusammenhalt in Bayern“, warnte Manfred Gößl, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) für München und Oberbayern. „Es muss deshalb unter allen Umständen verhindert werden, dass die Wirtschaft noch einmal so heruntergefahren wird, wie wir es im Frühjahr erlebt haben.“ Aktuell erholten sich die besonders betroffenen Branchen teilweise wieder. „Das ist eine positive Entwicklung, die nicht gestoppt werden darf.“ Für einige Branchen wie die Kultur- und Kreativwirtschaft, die Messe-, Veranstaltungs- und Eventwirtschaft, die Touristik, die Gastronomie oder Teile des stationären Einzelhandels sei die aktuelle Lage ohnehin schon existenzbedrohend.
Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, sagte, dass man sich einen zweiten Lockdown nicht leisten könne. „Die Auswirkungen wären nicht vorhersehbar“, warnte er. Die Automobilindustrie etwa sei gerade dabei, sich teilweise wieder zu erholen. „Man muss daher alles dafür tun, dass es dort keine neuen coronabedingten Ausfälle gibt.“
Für Handwerksbetriebe könnte ein zweiter Lockdown nach Einschätzung der zuständigen Kammer schnell zur Existenzbedrohung werden: „Ich halte einen zweiten Lockdown für problematisch“, sagte Franz Xaver Peteranderl, Präsident der Handwerkskammer für München und Oberbayern. Er gehe zwar davon aus, dass es punktuell zu regionalen Betriebsschließungen kommen wird: „Einen zweiten flächendeckenden Lockdown würden viele Betriebe aber nicht überleben.“ Besonders betroffen wären etwa Friseure oder Messebauer. „Aber auch Heizungs- und Sanitärbetriebe hätten ein Problem, wenn sie von den Kunden auf einmal nicht mehr in die Wohnung gelassen werden.“ Peteranderl forderte die Politik auf, bei regionalen Lockdowns mit Augenmaß vorzugehen, wenn es darum gehe, Betriebe zeitweise zu schließen. „Natürlich würde es auch helfen, wenn die Kanzlerin einen zweiten flächendeckenden Lockdown ausschließen würde“, sagte er. „Aber ich vermute, sie wird sich alle Optionen offen halten.“