Wolfsburg – Er soll der Golf des Elektro-Zeitalters werden und eigentlich noch viel mehr. Für Volkswagen geht es beim ID.3 um alles oder nichts. Die ersten Kunden erhielten am Freitag offiziell das neue Auto, mit einiger Verzögerung. Kann die vollelektrische Baureihe, deren Auftakt der ID.3 bildet, den Durchbruch der E-Mobilität auf dem Massenmarkt bringen? Gibt es endlich höhere Reichweiten? Und gelingt die komplexe Vernetzung zwischen Assistenz-, Online- und Entertainment-Systemen?
Bei der Übergabe des ersten Exemplars in Dresden sparte VW nicht mit Superlativen. Tenor: „Jetzt beginnt eine neue Ära für klimaneutrale Mobilität.“ Beim für den weltgrößten Autokonzern absehbar wichtigsten Modell steht auch für die Führung um Vorstandschef Herbert Diess viel auf dem Spiel. Riesige Summen sind bereits in den ID.3, den Kompakt-SUV ID.4 und den Elektro-Bulli ID.Buzz geflossen – konzernweit werden es bis 2024 für die E-Strategie 33 Milliarden Euro. Man will Marktführer werden. Aber noch ist der Rückstand zum US-Rivalen Tesla groß.
Der ID.3 soll E-Mobilität in den Alltag bringen. Er ist verglichen mit bisherigen Mittelklasse-E-Autos in der Basisausstattung relativ günstig und soll längere Strecken schaffen. Bei Konzerntöchtern wie Audi, Skoda oder Seat wird dieselbe Plattform eingesetzt: Der Baukasten MEB ist Grundlage zahlreicher künftiger Modelle, von denen bis zum Jahr 2028 bis zu 22 Millionen Stück gefertigt werden sollen.
Doch die Anlaufprobleme des ID.3 sind nicht wegzudiskutieren. Sicher: Er ist ein rundum neu entwickeltes Auto. Aber besonders die Software erwies sich in der Vorbereitung als Achillesferse. Die Kunden haben zunächst nicht auf alle Funktionen Zugriff – im Winter müssen sie Updates nachladen. Im Unternehmen bezeichnen manche das als sehr ärgerlich. Dass beim ID.3 einiges mit der heißen Nadel gestrickt wurde, war auch aus Teilen der Belegschaft zu hören. Der Druck auf die Entwickler und Linien war hoch, in internen Tests hatte man Mängel gefunden. Beim parallel angelaufenen Golf 8, wo es ebenso Elektronik-Stress gab, schaukelte sich der Konflikt zwischen Betriebsratschef Bernd Osterloh und Diess bis zum offenen Machtkampf hoch. Die Frage, ob der Anlauf der ID-Reihe nun klappt, dürfte wesentlich für Diess’ Zukunft sein.
Die Begeisterung für das Modell ist aber bei vielen groß. Zum Start der Produktion mit Kanzlerin Angela Merkel im November in Zwickau standen die Mitarbeiter Spalier für das Auto. Zehntausende lassen sich für die E-Mobilität qualifizieren – ganze Werke wie Emden, Hannover sowie Standorte in den USA und China werden umgerüstet. Gleichzeitig fährt VW die klassische Verbrennertechnik herunter und streicht Stellen. Bei der Lkw-Tochter MAN bis zu 9500 Jobs (siehe Bericht oben).