München – Seit einem halben Jahr laufen die Geschäfte in Bayern unter Corona-Bedingungen. Nach einem weitreichenden Stillstand im März und April wurden die Auflagen für die Wirtschaft nach und nach – aber noch nicht vollständig – aufgehoben. Wie es bis heute um die bayerischen Betriebe bestellt ist, wie die Wirtschaft nach der Krise aussehen wird und ob eine Autoprämie die bayerische Schlüsselbranche retten würde – darüber sprachen wir mit Manfred Gößl, dem Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern.
Vor einem halben Jahr kam in Bayern der Lockdown. Wie geht es der bayerischen Wirtschaft mittlerweile?
Wir haben ungefähr zwei Drittel des Absturzes wieder aufgefangen. Zuvor ist unsere Wirtschaft so schnell und so tief abgestürzt wie noch nie. Ende April war der Tiefpunkt. Seither sehen wir die Belebung.
Was war dafür ausschlaggebend?
Maßgeblich die Tatsache, dass die Wirtschaft wieder durfte. Dass im Zuge der Lockerungen der Einzelhandel, die Gastronomie und alle, die zusperren und deshalb besonders leiden mussten, nach und nach ihre Geschäfte wieder aufnehmen konnten. Zweiter Punkt ist, dass man in Bayern wie auch in ganz Deutschland wirtschaftspolitisch richtige Maßnahmen ergriffen hat.
Sie meinen staatliche Hilfsprogramme?
Ja. Für uns war immer wichtig, dass Maßnahmen ergriffen werden, um die Liquidität in den Unternehmen zu sichern, etwa durch Schnellkredite über die bayerische Förderbank LfA. Auch die Hausbanken standen bereit und konnten die kleinen und mittleren Unternehmen mit Krediten versorgen. Dazu kamen staatliche Zuschussprogramme.
Wie viel Geld ist denn bislang geflossen?
Bei der Soforthilfe waren es in Bayern mehr als 2 Milliarden Euro. Bei der Überbrückungshilfe waren es bislang 10 600 Anträge mit 198 Millionen beantragtem Fördervolumen. Davon haben wir als IHK München bereits 8734 mit über 155 Millionen Euro genehmigt. Damit sind wir in Deutschland am schnellsten unterwegs. Wir haben 83 Prozent aller Anträge durch, genehmigt und ausbezahlt. Im Rest der Republik sind es erst 64 Prozent.
Es gab auch Betrugsfälle.
Ja, gab es, besonders bei der Soforthilfe. Deshalb benötigt man bei der Überbrückungshilfe einen Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer, die einen coronabedingten Umsatzausfall und entsprechende Kosten bestätigen müssen. Das Bundeswirtschaftsministerium denkt jetzt darüber nach, ob man die Hürden für das letzte Quartal 2020 senkt. Das darf aber nicht ausufern.
Wie meinen Sie das?
Wenn so gut wie jedes Unternehmen unmittelbare Staatszuschüsse bekäme, ist das ordnungspolitisch und aus Sicht der Steuerzahler schon fragwürdig.
Was sollte jetzt noch geschehen?
Besonders hart getroffen von der Krise sind die Solo-Selbstständigen, die in der Regel keine großen Reserven aufbauen können. Hier könnte man sich überlegen, ob auch in Bayern – wie etwa in Baden-Württemberg – kleine Selbstständige im Sinne einer Wertschätzung ihrer Arbeit einen Zuschuss in Höhe von einmalig 3000 Euro analog der Künstlerhilfe bekommen. Das wäre zu vertreten, weil diese Gruppe bisher ein bisschen durchs Raster fiel. Und über 60 Prozent der Unternehmen in Bayern sind Solo-Selbstständige. Ansonsten ist es an der Zeit, dass wir aus dem Klein-Klein herauskommen.
Was heißt das?
Wir sind aktuell noch im Krisenmodus, zum Beispiel ist die Insolvenzbeantragungsfrist bis Ende dieses Jahres verlängert. Bis dahin kann man direkte Zuschüsse begründen. Dann kommt der Zeitpunkt, an dem die Unternehmen ehrlich Bilanz ziehen müssen. Wir werden in der ersten Jahreshälfte erleben, dass die Insolvenzzahlen steigen. Die Politik darf aber nicht einfach zuwarten, sondern muss jetzt in eine Phase übergehen, die man mit dem Wort „Erneuerung“ überschreiben könnte.
Passt da die Forderung von Ministerpräsident Söder nach einer Kaufprämie für Autos mit Verbrennungsmotoren?
Grundsätzlich geht es um eine branchenübergreifende Offensive.
Konkret?
Das echte Wumms-Paket für alle wäre die Verbesserung der steuerlichen Verlustverrechnung. Bislang reicht die steuerliche Möglichkeit, Verluste zu verrechnen, nur ein Jahr zurück. Beispiel Automobilsektor: Hier gab es schon im Jahr 2019 – ohne Corona – größere Probleme. Zuvor hatte man ab 2016 gute Jahre. Es wäre extrem hilfreich für die Betriebe der Branche, wenn sie – wie übrigens auch in vielen anderen Ländern – fünf, mindestens aber drei Jahre zurück Gewinne mit Verlusten verrechnen dürften. Unternehmen, die da zum Zuge kämen, haben ja in der Vergangenheit Gewinne am Standort Deutschland ausgewiesen.
Und hier versteuert.
Genau! Wir haben im Übrigen zusammen mit den bayerischen Banken untersucht, was man in Sachen Eigenkapitalausstattung der Betriebe noch tun könnte. Für die Großen und für größere Mittelständler gibt es entsprechende Fonds. Das typische Unternehmen in Bayern hat aber weniger als 20 Beschäftigte – das sind 97 Prozent. Hier müssen wir ansetzen und zwar schnell. Da bleibt nur die steuerliche Verlustrechnung. Das wäre gerecht, branchenübergreifend und unmittelbar wirksam. Und finanzieren könnte man es aus dem Budget der Überbrückungshilfen, in dem der Bund 25 Milliarden Euro bereitstellt, die wir so nie und nimmer brauchen werden.
Sie wollen die Krise nützen, um Weichen neu zu stellen.
Ja, absolut. Jetzt müssen wir das Thema Wettbewerbsfähigkeit angehen. Wie auch der Ministerpräsident plädieren wir für eine einheitliche Unternehmensteuer von 25 Prozent, womit wir endlich im europäischen Mittelfeld und nicht mehr an der Spitze lägen. Das muss jetzt angegangen werden, damit in Deutschland wieder gerne investiert wird. Das Zweite sind beschleunigte Abschreibungsfristen, damit schnell wieder Liquidität in die Firmen kommt. Bei allem, was wir jetzt tun, müssen wir schauen, ob dadurch der strukturelle Wandel beschleunigt wird oder ob die Maßnahmen das Stillhalten belohnen. Ich sage: Der Wandel muss belohnt werden. Es wird kein Zurück zur Normalität von vor Corona geben.
Es stehen einige Regulierungen an, etwa das Lieferkettengesetz. Wie sehen Sie das?
Die Unternehmer sind nach Corona wie Bergsteiger unterwegs. Da geht es gar nicht, wenn ihnen die Politik noch Gewichte in den Rucksack packt. Wir brauchen jetzt dringend eine Regulierungspause. Schon allein die Diskussionen über Steuererhöhungen oder der Gesetzesentwurf zum Unternehmensstrafrecht schaden enorm. Oder eben ein Lieferkettengesetz. Welcher Mittelständler soll das alles schultern können? Jetzt ist für so etwas einfach nicht der richtige Zeitpunkt. Im Übrigen gilt, was Regulierung angeht: Weniger ist mehr.
Erst einmal könnte es zum Beispiel für die Autoindustrie schwerer werden, die EU will die Klimaziele verschärfen.
CO2 muss bepreist werden – aber einheitlich. Das ist ein marktwirtschaftliches Instrument, Verschmutzung kostet Geld. So weit, so gut. Aber wenn man zusätzlich unabhängig davon Sektorenziele vereinbart, dann maßt sich die Politik an zu bestimmen, ob das CO2 aus dem Auspuff schädlicher ist als das aus dem Kamin. Davon raten alle Ökonomen ab.
Wie stehen Sie denn nur zu einer Auto-Kaufprämie?
Mit Abstand der größte Teil des Geschäfts für die Autoindustrie liegt im Ausland. Drei Viertel der in Deutschland produzierten Autos wurden im letzten Jahr exportiert. Da hilft eine Kaufprämie nichts. Darüber hinaus spielt gerade bei unseren Premiumherstellern in Bayern, BMW und Audi, das Firmenwagen-Geschäft eine enorme Rolle und damit das Leasing. Auch hier schlägt die Kaufprämie nicht an. Zehn, vielleicht maximal 20 Prozent der hier produzierten und verkauften Autos wären von einer solchen Prämie überhaupt tangiert. Und dann stellt sich noch die Frage: Wie viele Leute lassen sich durch eine Kaufprämie überhaupt locken? Und was passiert dann im nächsten Jahr? Wir haben bei der Abwrackprämie gesehen, dass sie im Kern zu erheblichen Vorzieheffekten geführt hat.
Momentan steigen die Infektionszahlen wieder. Fürchten Sie einen zweiten Lockdown?
Es ist das allerwichtigste Ziel, diesen mit aller Macht zu verhindern. Er würde alle Aufbauleistung wieder zunichtemachen und wäre schlimmer als der erste. Deshalb unterstützen wir auch Maßnahmen, wie das lokale Herunterfahren, wenn man vor Ort einen Hotspot hat. Das ist absolut wichtig, um einen Flächenbrand zu verhindern. Aber ich glaube, wir kriegen das hin. Ich gehe nicht von einem zweiten Lockdown aus.
Interview: Corinna Maier