„Im Handwerk gab es keinen Wumms“

von Redaktion

INTERVIEW Kammerpräsident Franz Xaver Peteranderl über die Folgen der Corona-Krise und Fehler der Politik

Seit vier Jahren ist der Garchinger Bauunternehmer Franz Xaver Peteranderl Präsident der oberbayerischen Handwerkskammer. Wir sprachen mit ihm über die Folgen des Corona-Schocks.

Nach dem heftigen Einbruch im Frühjahr stehen die Zeichen in der Wirtschaft auf Erholung. Wie ist die Lage im Handwerk? Ist das Schlimmste vorbei?

Das hängt von der Branche ab. Für manche Gewerke ist das Schlimmste vermutlich tatsächlich vorbei, anderen steht es noch bevor.

Wo zum Beispiel?

Beispielsweise in der Bau- und Ausbaubranche. Hier sehen wir, dass die Aufträge weniger werden. Im Frühjahr muss der ein oder andere Betrieb womöglich das Arbeiten einstellen, wenn nicht genügend neue Aufträge hereinkommen. Noch profitieren die Betriebe von den hohen Auftragsbeständen aus der Zeit vor der Krise, das ändert sich aber gerade.

Für die Kunden sind das ja fast schon gute Nachrichten – vor der Krise mussten sie wochenlang auf den Handwerker warten.

Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite gibt aber auch viele Privatkunden, die an ihrem Häuschen gerne einen Anbau machen würden oder eine Renovierung planen. Wenn allerdings der eigene Arbeitsplatz nicht mehr sicher ist oder man in Kurzarbeit ist, überlegt man sich das zweimal.

Wie reagieren die Betriebe?

Die sind sehr verunsichert. Sie stellen den Kunden eine neue Heizung in den Keller, stellen eine Rechnung aus, nur wissen sie nicht, ob der Kunde die Rechnung überhaupt bezahlen kann oder der Handwerker am Ende auf den Kosten sitzen bleibt. Im schlimmsten Fall droht dem Betrieb dann selbst die Insolvenz.

Manchen Betrieben bleibt der Gang zum Insolvenzgericht derzeit erspart, nachdem die Bundesregierung eine coronabedingte Insolvenzpause bis Ende März verlängert hat. Verschärft das die Vertrauenskrise noch weiter?

Einerseits ist man froh, weil jetzt diejenigen geschützt bleiben, die sich nur kurzzeitig überschuldet haben und die Schulden in Zukunft wieder abbauen können. Andererseits werden Firmen am Leben gehalten, die eigentlich nicht mehr überlebensfähig sind. Diese Firmen verzerren den Wettbewerb – und darunter leiden die gesunden Unternehmen.

Viele Betriebe dürften von ihren Kunden eine Anzahlung im Voraus verlangen. Aber auch der Kunde weiß oft nicht, ob er seinem Handwerker noch vertrauen kann. Denn geht der pleite, ist das Geld weg.

Das genau ist das Problem, das wir aktuell haben. Es gibt eine massive Verunsicherung auf allen Seiten. Selbst die Betriebe untereinander bekommen Material oft nur noch gegen Vorkasse, weil das Vertrauen fehlt.

Andere Handwerksbetriebe wie Friseure sind von dem Vertrauensverlust weniger betroffen – dafür hat sie der Lockdown im Frühjahr kalt erwischt. Wie ist die Lage in diesen Branchen?

Nicht nur Friseure: Goldschmiede, Maßschneider oder das Gesundheitshandwerk werden in der Diskussion oft vergessen. Sie wurden von der Politik kaum gestützt. Genauso Metallbaufirmen, die die Autoindustrie beliefern – bei denen ging im Frühjahr gar nichts mehr. Viele dieser Firmen haben nach wie vor große Schwierigkeiten. In Betrieben des Lebensmittelhandwerks, die sich auf das Gastgewerbe spezialisiert haben, gibt es sogar Umsatzausfälle von bis zu 70 Prozent. Im Messebau oder Schreinereien mit dem Spezialgebiet Bühnenbau ist es noch düsterer.

Bund und Freistaat haben mit beispiellosen Milliardenpaketen gegengesteuert. Hat das nicht gereicht?

Es wurden viele große Hilfsmaßnahmen angekündigt. Die Umsetzung ließ aber oft zu wünschen übrig.

Haben Sie ein Beispiel?

Nehmen wir die Soforthilfe: Viele Betriebe haben das Geld bekommen, zahlen es jetzt aber zurück. Sie haben festgestellt, dass die Anforderungen so hoch sind, dass sie gar nicht anspruchsberechtigt sind. Die Kriterien wurden im Nachhinein so angepasst, dass viele Betriebe durchs Raster fallen, obwohl sie das Geld dringend benötigen. Ähnlich ist es mit Überbrückungshilfen.

Wo sehen Sie hier ein Problem?

Die Überbrückungshilfe kann man nur über den Steuerberater beantragen. Für viele Betriebe ist die Beantragung so kompliziert, dass sie nicht in Erwägung gezogen wird. Das ist absolut kontraproduktiv. Selbst die befristete Mehrwertsteuersenkung kann ein Problem sein.

Warum?

Ich sehe es in meinem eigenen Baugeschäft: Meine Baustellen dauern fast alle länger als ein halbes Jahr. Manche Baustellen habe ich mit 19 Prozent begonnen, jetzt stelle sich Abschlagszahlungen mit 16 Prozent aus, die Schlussrechnung wird aber wieder mit 19 Prozent abgerechnet. In meinem Buchhaltungsprogramm lasse ich mehrere Prozesse parallel laufen – ein irrer Wust und riesiger bürokratischer Aufwand. Und wenn in vier Jahren die Finanzprüfung kommt, finden sie bestimmt einen Fehler, der unbeabsichtigt war. Die Nachzahlung wird aber trotzdem mit sechs Prozent verzinst.

Finanzminister Olaf Scholz hatte versprochen, dass die Wirtschaft dank der staatlichen Hilfen wieder mit „Wumms aus der Krise“ kommen wird.

Nur ist im Handwerk von diesem „Wumms“ leider nichts zu spüren.

Was könnte die Politik jetzt ganz konkret tun?

Der für mich wichtigste Punkt: Die Kommunen müssen von Bund und Ländern mit Geld ausgestattet werden, damit sie kräftig investieren können. Das hilft den örtlichen Handwerkern.

Ende November soll in München die Messe Heim und Handwerk stattfinden, die Internationale Handwerksmesse im Frühjahr fiel flach. Haben Sie schon schlaflose Nächte, weil Sie bald die nächste Messe absagen müssen?

Nein. Wir rechnen fest damit, dass die Messe stattfindet, genauso die parallel laufende Messe Food & Life. Zwar werden wir nicht mehr auf 120 000 Besucher kommen, es wird aber ein umfangreiches Hygienekonzept geben, sodass sich kein Besucher Sorgen machen muss.

Haben die Aussteller überhaupt noch ein Interesse an Messen? Die Corona-Krise hat schließlich vieles ins Internet verlagert.

Im Handwerk werden Messen weiter eine wichtige Rolle spielen. Mir geht es oft selbst so, dass ich über die Messe laufe und dadurch erst neue Produkte kennenlerne – im Internet würde ich die niemals finden.

Wie sehen Sie die Zukunft des Handwerks generell?

Auch wenn uns Corona schwer getroffen hat: Die gute Nachricht ist, dass es quer durch alle Branchen 75 Prozent der Betriebe in Bayern nach wie vor gut oder zufriedenstellend geht, wie unsere jüngste Umfrage zeigt – auch wenn es früher einmal 90 bis 95 Prozent waren. Am meisten sind wir stolz darauf, dass wir in Bayern bislang noch so gut wie keinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verloren haben. Daher glaube ich, dass wir die Krise meistern.

Interview: Sebastian Hölzle

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