AvP-Pleite stürzt Apotheken in Existenzkrise

von Redaktion

VON SEBASTIAN HÖLZLE

München – Anfang September begann für Claudia Zangerl das große Zittern: Sie ist Apothekerin, in Aschau im Chiemgau betreibt sie die Schloss-Apotheke, in Rott am Inn die Kloster-Apotheke. Am ersten Montag im September stellte sie schockiert fest: Der Düsseldorfer Apothekendienstleister AvP hat ihr kein Geld überwiesen. „Und wir reden hier von einem mittleren sechsstelligen Betrag“, sagt sie. „Am Dienstag war das Geld immer noch nicht da, es hieß, die AvP habe Serverprobleme.“ Sie habe daraufhin ihre Bank informiert, dass Kredite erst später getilgt werden könnten.

„Am Mittwoch machte ich mir allmählich Sorgen“, erinnert sie sich. Und am Donnerstag fehlten immer noch hunderttausende Euro, die Verzweiflung stieg. Die Unternehmerin sorgte sich um den Fortbestand der Schloss- und der Kloster-Apotheke. Am Freitagmorgen die bittere Gewissheit: „Mir wurde klar, es geht nicht um Serverprobleme, die AvP scheint ein massives Geldproblem zu haben.“

Dabei sollte die Zahlungsabwicklung störungsfrei funktionieren. Wer als gesetzlich Versicherter mit einem rosa Zettel vom Arzt in die Apotheke geht, um ein Medikament zu holen, ahnt selten, welche Prozesse im Hintergrund ablaufen.

„Es gibt in Deutschland etwa 20 000 Apotheken und über 100 Krankenkassen“, erklärt Apothekenrechtler Morton Douglas aus Freiburg. „Damit nicht jede Apotheke mit jeder Krankenkasse die rosa Zettel einzeln abrechnen muss, gibt es rund 20 Dienstleister in Deutschland, die das übernehmen.“

Es geht dabei um viel Geld, wie Zahlen des Landesapothekerverbandes belegen: Demnach macht eine Durchschnittsapotheke im Monat etwa 220 000 Euro Umsatz. Etwa 85 Prozent dieses Umsatzes entfallen auf die Rezepte der gesetzlichen Krankenkassen – also 187 000 Euro im Monat. Bei den Apotheken selbst bleibt von den Umsätzen aber nur ein kleiner Bruchteil hängen.

Die Apotheken-Umsätze sind deswegen so hoch, weil Medikamente extrem teuer sein können. „Es gibt Apotheken, die haben sich auf Arzneimittel zur Behandlung von Blutern spezialisiert, da kostet eine Packung 50 000 Euro“, sagt Douglas. Kommt ein Patient mit einem Rezept in die Apotheke, erhält er die Arznei. Die Apotheke hat die Medikamente zuvor im Großhandel gekauft, meist finanziert mit einem Kredit.

Einmal im Monat schicken alle Apotheken in Deutschland ihre Arztrezepte an Spezialfirmen wie AvP. „Diese Dienstleister holen von den Krankenkassen gebündelt das Geld und überweisen es an die Apotheken“, sagt Douglas. Es geht um riesige Geldbeträge: „Allein bei AvP wurden in der Vergangenheit jedes Jahr sieben Milliarden Euro durchgeschleust.“

Anfang September kollabierte das System bei AvP, ein Beben für die Branche. Etwa 3500 Apotheken in Deutschland sind AvP-Kunde, das ist etwa jeder sechste Betrieb.

Warum AvP nicht mehr zahlte, ist unklar. Bekannt ist nur: Am 16. September beantragte der Dienstleister Insolvenz, die zuständige Finanzaufsichtsbehörde Bafin in Frankfurt stellte Strafanzeige. Eine Woche später erklärte die Staatsanwaltschaft Düsseldorf, man ermittle wegen Bankrotts. Gemeint ist eine betrügerische Insolvenz, bei der vor der Pleite Vermögenswerte beiseite geschafft wurden. „Natürlich müssen wir uns auch die Rolle der Bafin ganz genau anschauen“, sagt Rechtsanwalt Douglas. Jetzt müsse es aber vorrangig erst einmal darum gehen, das Überleben vieler Apotheken zu sichern.

Denn wegen der Insolvenz sind alle Zahlungen von AvP vorerst gestoppt. „Die Apotheker müssen sich jetzt in der Schlange der Gläubiger anstellen, und es kann Jahre dauern, bis der erste Euro ausgezahlt wird“, sagt Douglas. Besonders bitter: „Wir gehen davon aus, dass ein mittlerer dreistelliger Millionenbetrag vorhanden ist, nur ist das Geld praktisch eingefroren.“ Und es gebe Apotheken, die Forderungen an die AvP in Höhe von zwei Millionen Euro hätten. Der Rechtsanwalt fordert daher von der Bundesregierung, die existenzbedrohten Apotheken kurzfristig zu stützen.

Das ist aber eher unwahrscheinlich. Eine Sprecherin von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) teilte auf Anfrage unserer Zeitung mit, AvP sei ein Fall für die Ermittlungsbehörden, das Ministerium beobachte lediglich die weitere Entwicklung.

Claudia Zangerl aus Aschau hat die für den Wahlkreis Rosenheim zuständige Bundestagsabgeordnete Daniela Ludwig (CSU) angeschrieben und sie auf die Dringlichkeit aufmerksam gemacht – eine Reaktion blieb bislang aus. „Ich verstehe nicht, warum die Politik nichts tut – schließlich sind wir unverschuldet in eine Notsituation geraten“, beklagt die Apothekerin.

Dabei ist Claudia Zangerl vergleichsweise glimpflich davongekommen. Am Freitagabend vor zwei Wochen überprüfte sie ein letztes Mal ihr Konto, sie hatte die Hoffnung fast schon aufgegeben. Es folgte eine Überraschung: AvP hat zumindest den monatlichen Abschlag überwiesen, etwa 80 Prozent der fehlenden Geldsumme. „Wir waren eine der letzten Apotheken in Deutschland, die noch Geld bekommen hat.“

Erleichterung im Chiemgau, das Überleben der Schloss- und der Kloster-Apotheke ist gesichert. „Weil aber weiterhin 20 Prozent der Summe fehlen, müssen wir davon ausgehen, dass wir ausgerechnet im Corona-Jahr umsonst gearbeitet haben.“ Claudia Zangerl weiß auch: Andere hat es noch schlimmer getroffen, viele Apotheken stehen vor der Pleite.

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