Die Keimzelle des Abgasbetrugs

von Redaktion

München – Es ist ein Mammutprozess unter erschwerten Corona-Bedingungen, auf den viele geprellte Diesel-Fahrer hierzulande seit fünf Jahren warten. Kommenden Mittwoch beginnt in München die strafrechtliche Aufarbeitung des VW-Dieselskandals. Auf der Anklagebank sitzt mit dem langjährigen Audi-Chef Rupert Stadler und dem ehemaligen Porsche-Vorstand Wolfgang Hatz Prominenz. Dazu kommen zwei frühere Audi-Techniker, die im Zentrum der kriminellen Vorgänge standen und wohl als Kronzeugen auftreten werden.

Der Prozess ist auf über zwei Jahre angesetzt, zur Wahrheitsfindung muss das angeklagte Quartett in die Münchner Justizvollzugsanstalt (JVA) Stadelheim einrücken. Nirgendwo sonst steht in München ein größerer Gerichtssaal zur Verfügung. Weil Infektionszahlen in der Isarmetropole derzeit gefährlich steigen, werden Sitzplätze dort immer rarer. Für 280 zum Verfahren akkreditierte Journalisten stehen derzeit noch zehn Plätze zur Verfügung. Weitere Limitierung droht. Es muss früh aufstehen, wer dabei sein will. Es könnte sich lohnen, zeigt ein Blick in die 92-seitige Klageschrift.

Minutiös beschreibt die Staatsanwaltschaft München 2 darin, wie die Betrugssoftware zum Abgasskandal bei Audi erfunden wurde. Denn die Ingolstädter VW-Tochter war kein Nebenschauplatz der Affäre, die eine ganze Technologie branchenweit ins Abseits gestellt hat. Audi hat die großen Dieselmotoren entwickelt, die konzernweit in viele Modelle auch von VW und Porsche eingebaut wurden. Demnach ist Ingolstadt eigentliche Keimzelle des kriminellen Tuns. Betrug, mittelbare Falschbeurkundung und strafbare Werbung lauten die Vorwürfe gegen die Angeklagten. Während die beiden Techniker aus der dritten bis vierten Audi-Hierarchieebene so gut wie alles zugeben, gaben sich Stadler und Hatz bis zuletzt unschuldig. Letzterer hat über seinen Anwalt allerdings soeben erklären lassen, dass er vor Gericht reden will. „Herr Hatz wird sich selbst ausführlich zu den Vorwürfen äußern“, kündigte Verteidiger Gerson Trug an.

Ob es Rechtfertigungen, ein Schuldeingeständnis oder gar Anschuldigungen an die Adresse anderer Topmanager sein werden, bleibt abzuwarten. Hatz galt seinerzeit als enger Vertrauter Winterkorns. Den wirtschaftlichen Schaden, den die vier in München Angeklagten angerichtet haben, beziffern die Ermittler auf gut 3,2 Milliarden Euro. Obwohl der Abgasbetrug Ende September 2015 in den USA aufgeflogen ist, hat Audi munter weiter über 434 000 manipulierte Fahrzeuge in den USA und Europa verkauft. Der auf die USA entfallende Anteil habe nur noch Schrottwert, weil derart getürkte Wagen dort nicht mehr weiterverkauft werden dürfen, argumentiert die Staatsanwaltschaft und ordnet ihnen allein 3,1 Milliarden Euro Schaden zu. Für das europäische Kontingent veranschlagt sie lediglich 82 Millionen Euro, was dem Preis zur Beseitigung der illegalen Software entspricht. Schon dieses Detail zeigt, wie unterschiedlich die Gesetze diesseits und jenseits des Atlantiks sind.

Für die insgesamt zehn Verteidiger der vier Angeklagten könnte das ein juristisches Einfallstor sein. Während VW nach US-Recht glasklar betrogen hat, schaffen EU- und deutsche Gesetze eine Art Grauzone, die das Manipulieren zumindest erleichtert hat.

Auch davon abgesehen verteilen sich die Vorwürfe der Staatsanwälte nicht auf alle Angeklagten gleich. Am moderatesten sind sie beim hochrangigsten Angeklagten Stadler. Dem 57-jährigen werfen die Ermittler im Gegensatz zu den anderen drei Angeklagten nicht vor, an den Abgasmanipulationen direkt beteiligt gewesen zu sein. Angeklagt ist Stadler, der aus Dorf im Altmühltal stammt, weil er abgasmanipulierte Fahrzeuge auch nach dem Herbst 2015 weiter habe verkaufen lassen, obwohl auch ihm spätestens dann der kriminelle Hintergrund habe klar sein müssen. Audi-interne Aufklärung habe Stadler lange bestenfalls oberflächlich betrieben, rügen die Ermittler. Nicht von ungefähr wurde der Manager, der fast zwölf Jahre lang an der Spitze der Audi-Tochter stand, im Betrieb als einer, der alles von sich abperlen lässt, auch Teflon-Stadler genannt.

Weit brisanter sind die Vorwürfe an die Adresse von Hatz und die beiden Techniker. Wenn es richtig ist, was die Staatsanwälte auf über 40 000 Seiten Ermittlungsakten zusammengetragen haben, dürften sie genau gewusst haben, was sie getan haben. Dem Trio sei schon 2008 klar gewesen, dass Abgastests nur durch Manipulation zu bestehen seien, sagen die Ermittler. Bei einem Schuldspruch drohen vor allem Nicht-Geständigen mehrjährige Gefängnisstrafen. THOMAS MAGENHEIM-HÖRMANN

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