„Ohne Bescheißen schaffen wir es nicht“

von Redaktion

VON THOMAS MAGENHEIM-HÖRMANN

München – Die Justizvollzugsanstalt (JVA) Stadelheim liegt in einem unscheinbaren Münchner Wohngebiet, aber hier findet seit gestern der erste Strafprozess zum VW-Dieselskandal vor einem deutschen Gericht statt. Auf der Anklagebank sitzen die Topmanager Rupert Stadler und Wolfgang Hatz.

Stadler war viele Jahre Audi-Chef, Hatz hat bei VW sowie den Töchtern Audi und Porsche in Spitzenpositionen gemanagt. Mitangeklagt sind zwei ehemalige Audi-Techniker aus der dritten und vierten Hierarchieebene des Konzerns. In ihrer Abteilung wurde die Betrugssoftware erfunden, die nicht nur in Dieselmotoren von Audi, sondern auch VW- und Porsche-Modellen verbaut worden ist. Audi gilt als eigentliche Keimzelle des Abgasbetrugs.

Um 6.53 Uhr wird am Mittwochmorgen die Besucherreihe geschlossen – das Gericht gewährt nur wenigen Journalisten Zutritt. Zwei Stunden später beginnt der Einlass in den größten Gerichtssaal Münchens, der den Charme einer Turnhalle versprüht. Dort sitzt das Quartett, Stadler und Hatz sind von den beiden Ingenieuren separiert. Die Trennung ist nicht zufällig: Stadler und Hatz sehen sich unschuldig verfolgt, die beiden Techniker waren geständig und könnten als Kronzeugen vor allem Hatz schwer belasten.

Das wird spätestens klar, als zwei Staatsanwälte kurz vor zehn Uhr beginnen, mehrere Stunden lang eine 92-seitige Anklageschrift zu verlesen. Im Fall von Stadler will die Anklage beweisen, dass er in den USA und Europa noch 434 420 Autos mit Betrugssoftware hat verkaufen lassen, obwohl ihm der kriminelle Charakter der Abgasreinigung spätestens seit Ende September 2015 bewusst war. Eine persönliche Beteiligung an der Entwicklung der kriminellen Technik unterstellt ihm die Staatsanwaltschaft nicht.

Das tut sie aber bei den anderen drei Angeklagten. Die Betrugssoftware, die dafür sorgt, dass Autos zwar auf dem Laborprüfstand mit aktivierter Abgasreinigung fahren, nicht aber im Straßenverkehr, sei auf Anweisung des ehemaligen Chefs der Abteilung Abgasnachbehandlung, Giovanni P., im Team seines Untergebenen Henning L. entwickelt worden, klagen die Ermittler an. Das sind die beiden geständigen Techniker. Hatz habe das gewusst und gebilligt.

Audi habe seinerzeit in den USA Dieselmotoren salonfähig machen wollen, um mit dieser Technologie den Markt zu erobern und dazu dort den saubersten Diesel der Welt angeboten. Der war das allerdings nur auf dem Papier und am Prüfstand. Weil die manipulierten Autos in den USA weder hätten verkauft noch von betrogenen Besitzern weiterverkauft werden dürfen, hätten sie nur noch Schrottwert, argumentiert die Staatsanwaltschaft und errechnet so inklusive der in Europa verkauften Schummeldiesel einen Schaden von 3,2 Milliarden Euro.

Angeklagt ist das Quartett wegen Betrug, mittelbarer Falschbeurkundung und strafbarer Werbung, was bei einem Schuldspruch mehrjährige Haftstrafen bedeuten kann. Die Staatsanwälte haben während ihrer mehrjährigen Ermittlungen Brisantes ans Tageslicht befördert: 2008 hatte ein Audi-Mitarbeiter den beiden angeklagten Ingenieuren geschrieben: „Ganz ohne Bescheißen werden wir es nicht schaffen.“ In einer anderen Audi-internen E-Mail ist zu lesen: „Dies ist ein eindeutiges Defeat Device und nicht zulässig.“

Defeat Device kann man mit Betrugssoftware übersetzen. Das habe Hatz gewusst und abgenickt, sagen die Ermittler. Schließlich hätte Hatz sich gegenüber dem damaligen VW-Chef Martin Winterkorn verbürgt, dass das „Projekt sauberer Diesel“ ein Erfolg werde.

Die Verteidiger melden sich gestern nur einmal zu Wort. Es ist ein vielsagender Antrag, den Stadlers Anwalt stellt. Richter Stefan Weickert und seine Kollegen, die neben ihm am Richtertisch sitzen, sollen Auskunft darüber geben, ob sie einen VW oder Audi mit Betrugssoftware fahren, verlangt der Strafverteidiger. Denn das könne Befangenheit signalisieren. Die Frage werde zu gegebener Zeit beantwortet, erklärt Weickert. Der Prozess ist für zwei Jahre angesetzt.

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