München – Das Rundschreiben von Wirecard-Insolvenzverwalter Michael Jaffé an das Restpersonal der Skandalfirma hat es in sich. Seine Verkaufsbemühungen für das Wirecard-Kerngeschäft seien nun in der Endphase, schreibt er darin. Im November sei mit einer Entscheidung zu rechnen und das trotz denkbar schwierigen Begleitumständen mit belastenden Erkenntnissen über die Vergangenheit des ehemaligen Dax-Konzerns. Dann folgt ein Satz, der das Ausmaß der Abgründe offenbart. „Die Konten der Schuldnerin sind in den Monaten vor der Insolvenz leer geräumt worden“, hat Jaffé herausgefunden. Die Schuldnerin ist die Pleitefirma Wirecard. Leer geräumt haben soll sie früheres Spitzenpersonal. Wie viel Geld das vor der Pleite hat verschwinden lassen, sagt Jaffé nicht.
Auch Staatsanwälte schweigen. Dafür redet ein Insider. „Es geht um eine dreistellige Millionensumme“, sagt er. Wer die abgehoben und verschwinden hat lassen, weiß er auch nicht. Aber wer die Verhältnisse bei Wirecard kennt, denkt spontan an den flüchtigen und per internationalem Haftbefehl gesuchten Ex-Vorstand Jan Marsalek. Der hat seine Flucht offenbar von langer Hand geplant, ist über die belarussische Hauptstadt Minsk Mitte Juni abgetaucht. Vermutet wurde er zeitweise in einer Villa nahe Moskau, bewacht von russischen Geheimdienstlern, mit denen Marsalek enge Kontakte gepflegt haben soll.
So unaufspürbar wie er bleiben vorerst auch jene mehrere hundert Millionen Euro, die von Wirecard-Konten abgeräumt wurden. In dunklen Kanälen verschwunden ist aber noch viel mehr Geld, was ebenfalls Staatsanwälte beschäftigt. So sind angeblichen Wirecard-Partnern, die wohl größtenteils oder komplett nur auf dem Papier existiert haben, durch Wirecard und die konzerninterne Bank dreistellige Millionenkredite ausgereicht worden. Auch nach diesem Geld wird gefahndet.
Mindestens dubios ist zudem der Kauf einer Firma durch Wirecard zu einem weit überhöhten Preis, der an einen bislang unbekannten Empfänger auf Mauritius geflossen ist. Auch hier geht es um eine dreistellige Millionensumme. Manche vermuten Wirecard-Topmanager hinter dem Empfänger auf Mauritius.
Inklusive der jüngsten Erkenntnisse von Jaffé über geplünderte Konten summieren sich die aus dem Unternehmen in dunkle Kanäle abgeflossenen Gelder damit mittlerweile in Richtung einer Milliardendimension. Allein Gläubigerbanken und Investoren schuldet der Pleitekonzern 3,2 Milliarden Euro. Im Umfeld Jaffés rechnet man aber damit, dass sich diese Summe noch erhöht, schon allein wegen zu erwartender Schadenersatzklagen.
Dagegen nehmen sich die von Jaffé bislang gesicherten Gelder recht bescheiden aus. Der Wert schon verkaufter Firmenteile addiert sich auf eine mittlere dreistellige Millionensumme, wissen mit den Vorgängen vertraute Personen. Größter Brocken ist das jüngst verkaufte US-Geschäft von Wirecard. Noch auf der Verkaufsliste steht neben dem Kerngeschäft auch die Wirecard Bank. Wenn alles klappt, könnte Jaffé inklusive schon erzielter Verkaufserlöse ungefähr eine Milliarde Euro an Insolvenzmasse zusammenbekommen, schätzen Experten. Ein Mehrfaches dessen wäre demnach unwiederbringlich verbrannt.
Die vorläufige Bilanz für das Personal sieht ähnlich aus. Mit 5800 Beschäftigten ist der Konzern vor vier Monaten in die Pleite gegangen. Weiterverkaufen oder anderweitig retten konnte Jaffé bislang nur gut 700 Jobs. Im Kerngeschäft und für die Wirecard Bank arbeiten noch weitere rund 570 Leute. Jaffé will beides so verkaufen, dass möglichst viele Stellen gerettet werden. Selbst im günstigsten Fall wären damit aber am Ende weit über 4000 Jobs vernichtet.
Rechtlich verpflichtet ist der Insolvenzverwalter zudem den Gläubigern und damit der maximal möglichen Mehrung der Insolvenzmasse. Für das Kerngeschäft sind dem Vernehmen nach noch zwei Interessenten im Rennen, die spanische Bank Santander und die britische Mobilfunkfirma Lycamobile. Im November sollte man erfahren, ob einer von beiden den Zuschlag erhält und was das für Insolvenzmasse sowie Jobs bedeutet.