München – In den kommenden Monaten kommt nicht nur „der eine“ Impfstoff auf den Markt, sondern es gehen mehrere konkurrierende Verfahren in den Praxiseinsatz. Weder die Last der Produktion für die Gesamtbevölkerung – noch die zu erwartenden Riesengewinne – konzentrieren sich damit bei einem Unternehmen. Stattdessen verteilen sich die Anstrengungen auf verschiedene Spieler aus Europa, Asien und Amerika.
1. Boten-Ribonukleinsäure-Impfstoffe
Durch die Nutzung von mRNA lassen sich Produktionszeiten enorm abkürzen. Der eigentliche Wirkstoff entsteht dabei in körpereigenen Zellen.
. Hersteller und Marktreife
Die Firma Biontech aus Mainz hofft auf eine Zulassung zum Jahresende, sodass die Impfungen schon im Januar beginnen können. Die Produktion von Millionen von Dosen auf Vorrat läuft bereits. Behörden in Europa haben mit der Prüfung der Ergebnisse begonnen, in den USA ist der Antrag für die dritte Novemberwoche geplant.
Konkurrent Moderna aus den USA liegt nicht weit zurück und rechnet bis März 2021 mit dem Masseneinsatz.
Bei Curevac aus Tübingen dürfte es noch etwas länger dauern, die Erprobung befindet sich erst in Phase zwei von drei. Doch auch Curevac erwartet eine Verfügbarkeit noch im ersten Halbjahr 2021.
. Wirkung
Das Verfahren ist neu und revolutionär. Anders als bei klassischen Impfstoffprojekten sind keine Viren mehr im Spiel. Die Wissenschaftler arbeiten stattdessen mit reiner Information über das Virus. Sie lassen den eigentlichen Impfstoff in den Körperzellen des Impflings herstellen. Dazu nutzen sie die biochemische Maschinerie der Zellen. Diese wird von Boten-Ribonukleinsäure (mRNA) programmiert. Sie ist vergleichbar mit einem Bauplan, aus dem eine computergesteuerte Maschine ein Werkstück herstellt. Im Kern der Impfung liegt ein Strang mRNA, der ein auffälliges Stück des Coronavirus beschreibt – meist die Spitze der auffälligen Stachel auf seiner Oberseite. Diesen hüllen die Forscher in einen Käfig aus Fetten. Diese Hülle hat eine besondere Eigenschaft: Bestimmte Zellen lassen sie durch die Zellwand ins Innere, wo die mRNA dann freigesetzt wird. Die menschlichen Erbanlagen werden dabei nicht verändert, der Zellkern mit den eigenen Genen bleibt unverändert. Der Impfstoff leiht sich bloß die Protein-Fabrik der Zelle aus, um täuschend echte Virus-Teile herzustellen. Sie liest die künstliche hergestellte mRNA aus und setzt die virusähnlichen Moleküle in den Blutstrom frei. Auf diese Stachel-Stücke reagiert nun das Immunsystem nun fast genauso heftig wie auf das echte Virus. Es entstehen Antikörper, der Impfling entwickelt Abwehrkräfte.
. Vorteile
Es lassen sich große Mengen des Impfstoffs in kurzer Zeit produzieren. Es ist hier nicht nötig, echte Viren anzuzüchten, alle Bestandteile werden gentechnisch hergestellt. Weil keine Viren in den Körper gelangen, gibt es theoretisch auch keine oder kaum Nebenwirkungen.
. Nachteile
Die Fetthülle und die mRNA sind nicht sonderlich stabil, die Substanz muss immer gut gekühlt sein. Außerdem gab es nie eine große Impfkampagne mit einem mRNA-Impfstoff – die Tests beschränkten sich in den letzten zehn Jahren auf wenige hundert Individuen. Auch wenn in der Theorie nichts passieren kann, sind die praktischen Auswirkungen der Anwendung auf große Gruppen von Menschen nicht erprobt.
2. Vektor-Impfstoffe
Forscher verwenden hier Viren, um eine Immunantwort gegen Sars-CoV-2 auszulösen – allerdings nicht das Coronavirus selbst, sondern harmlose Trägerviren.
. Hersteller und Marktreife Der bekannteste Kandidat aus dieser Klasse stammt von der Universität Oxford und dem Pharmakonzern Astra-Zeneca. Hier läuft bereits die dritte und letzte Phase der Tests. Anfang 2021 sollen geimpfte Testpersonen absichtlich dem Coronavirus ausgesetzt werden, um die Wirksamkeit der Immunisierung zu bestätigen. Er könnte dann in den ersten Monaten des Jahres seine Zulassung erhalten und gespritzt werden. Zugleich ist eine Notfallzulassung für Risikogruppen schon vor Weihnachten im Gespräch. In fünf Fabriken werden derzeit schon hunderte von Millionen Dosen vorproduziert.
Der chinesische Hersteller CanSino Biologics impft bereits seit Juni angehörige der Volksarmee im Rahmen einer militärischen Sonderzulassung mit einem Vektor-Impfstoff. Er wurde zusammen mit dem Beijing Institute of Biotechnology entwickelt. Exakte Zahlen zu dem Experiment sind Staatsgeheimnis.
Auch das russische Produkt „Sputnik 5“ ist ein Vektorimpfstoff. Es hat auf politischen Druck zwar bereits eine Zulassung, die Tests laufen jedoch noch.
Der Impfstoff des deutschen Wettbewerbers IDT Biologika in Zusammenarbeit mit mehreren Unis kommt dagegen erst Ende 2021 auf den Markt.
. Wirkung
Die Vektor-Impfstoffe ähneln ein wenig den mRNA-Impfstoffen. In beiden Fällen werden Bruchstücke des Corona-virus erst in den Zellen der geimpften Person hergestellt. Doch das Transportgefäß für die Blaupausen ist ein anderes: ein gezähmtes Virus. Das lateinische Wort „Vector“ bedeutet „Träger“ oder „Passagier“. Es spielt hier darauf an, dass ein anderes Virus die Erbinformation von Stücken des Coronavirus in menschliche Zellen hineinträgt. Diese Viren selbst lösen keine Krankheit aus, alarmieren aber zusätzlich das Immunsystem. Es springt dabei auch auf die Bruchstücke der Coronaviren an.
. Vorteile
Die Impfstoffe lassen sich sicher und schnell entwickeln. Die Anwendung der Vektor-Viren am Menschen ist zudem bereits seit Jahrzehnten erprobt. Die Viren lassen sich in Bioreaktoren kostengünstig vermehren. Sie müssen außerdem nicht so gründlich tiefgekühlt werden wie mRNA-Medikamente.
. Nachteile
Weil nach der Impfung eben doch ein komplettes Virus im Körper herumschwirrt, reagiert das Immunsystem in einigen Fällen mit Entzündungen und anderen deutlichen Reaktionen. Die Zahl der Nebenwirkungen ist also vermutlich höher als beim mRNA-Verfahren.
3. Inaktive Viren als Impfung
Hier tritt der Bösewicht selbst in Erscheinung. Sars-CoV-2 wird allerdings so abgeschwächt oder getötet, dass es keine echte Infektion hervorruft.
. Hersteller und Marktreife
Der chinesische Hersteller Sinopharm liegt mit seinem Wirkstoff weit vorn. Er befindet sich bereits im Praxiseinsatz: China impft damit bereits seit Juli medizinisches Personal und den Zoll. Inzwischen sind auch Mitarbeiter von staatlichen Großunternehmen hinzugekommen, die viel in Risikogebiete reisen. Insgesamt will China noch in diesem Jahr über 600 Millionen Impfdosen herstellen. Der indische Anbieter Bharat Biotech will seinen Wirkstoff „Covaxin“ bis Sommer 2021 auf den Markt bringen.
. Wirkung
In der Spritze sind echte Corona-Erreger, die das Immunsystem als Feind erkennt und mit Bildung von Antikörpern bekämpft. Weil die Viren jedoch entscheidend geschwächt sind, kommt es nicht zur Infektion.
. Vorteile
Das Verfahren ist grundsätzlich schon seit 200 Jahren erprobt. Viele Pharmafirmen haben die nötige Ausrüstung, um solche Impfstoffe herzustellen.
. Nachteile
Die Anzucht der Viren braucht Zeit und große Produktionseinrichtungen.
4. Protein-basierte Impfstoffe
Einzelne Virus-Bruchstücke reichen in Kombination mit einem Verstärker, um das Immunsystem vor Corona zu warnen.
. Hersteller/Marktreife
Novavax aus den USA strebt eine Zulassung in der ersten Jahreshälfte 2021 an. Das Unternehmen traut sich zu, jährlich zwei Millionen Dosen herzustellen. Auch Sanofi (Frankreich) zusammen mit GSK (Großbritannien), Clover Biopharmaceuticals (China) und Vaxine (Australien) testen bereits Protein-Impfstoffe und erwarten Zulassungen im Jahr 2021.
. Wirkung
Einzelne Virus-Bruchstücke werden vorproduziert und direkt gespritzt. Ein Virus besteht nur aus Eiweißbausteinen, also Proteinen. Novavax verwendet Zellen von Motten, um verschiedene Varianten des Stachel des Corona-Erregers herzustellen. Diese binden die Wissenschaftler zu einem Paket zusammen und mischen einen Wirkverstärker dazu. Ohne diesen Verstärker würde die Immunantwort nur schwach ausfallen.
. Vorteile
Aufbewahrung ist bei normaler Kühlschranktemperatur möglich. Der Wirkverstärker führt zu einer starken Immunreaktion.
. Nachteile
Der Wirkverstärker kann aber auch nachteilige Impfreaktionen hervorrufen.