Berlin/München – Den Abgeordneten war der wachsende Ärger anzumerken: Markus Braun, der ehemalige Chef der Wirecard AG, weigerte sich vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages, auch nur einfachste Faktenfragen zu beantworten. Der Wirecard-Untersuchungsausschuss hatte von Brauns Aussagen gehofft, Einblick in die Zusammenhänge des größten Wirtschaftsskandals der deutschen Nachkriegsgeschichte zu erhalten.
Die Ausschussmitglieder machten wiederholt klar, dass sie das Recht, vor einem Ausschuss die Aussage zu verweigern, nicht so weit auslegen wie Braun. Dieser hatte in einer abgelesenen Erklärung angekündigt, nur der Staatsanwaltschaft München Rede und Antwort zu stehen, aber vorerst nicht dem Bundestag.
Der 51-jährige Braun stellte sich derweil in seiner vorbereiteten Erklärung zumindest von der Wortwahl her als Opfer dar. „Die Gerichte müssen klären, wer die Verantwortung für den Zusammenbruch der Wirecard AG trägt“, sagte er. Die Ermittler sollten „den Verbleib veruntreuter Unternehmensgelder“ ausfindig machen, er vertraue auf deren Objektivität. Aus Sicht der Ankläger war Braun jedoch die treibende Kraft hinter dem Milliarden-Betrug bei Wirecard. Braun wollte auch keine Fragen dazu beantworten, ob die Staatsanwaltschaft ihm eine bevorzugte Behandlung im Gegenzug für eine umfassende Aufklärung der Vorgänge angeboten hat.
Wirecard galt bis zum tiefen Sturz als Star der deutschen Börsenwelt. Das Unternehmen hat die Verarbeitung von Kreditkartenzahlungen angeboten. Angeblich soll es damit traumhafte Gewinne erzielt haben. Im Jahr 2018 stieg Wirecard sogar in den Deutschen Aktienindex Dax auf. Im Juni dieses Jahres flog dann jedoch krachend auf, dass 1,9 Milliarden Euro in der Kasse des Unternehmens fehlen. Inzwischen kursieren auch noch deutlich höhere Zahlen für den Fehlbetrag: Die Bilanz war offenbar um mindestens 3,2 Milliarden Euro aufgebläht; die Gläubiger des Unternehmens sehen sich gar um mehr als 12 Milliarden Euro geprelllt..
Braun gilt als Schlüsselfigur des Wirtschaftskrimis um Wirecard. Der ehemalige Firmenchef soll nach Ansicht der Staatsanwaltschaft ein Finanzkarussell organisiert haben, das gewaltige Scheingewinne hervorgebracht hat. Drittfirmen haben dazu hohe Summen an den Konzern überwiesen. Dieser verbuchte sie als Gebühreneinnahmen. In Wirklichkeit standen diese Firmen unter Kontrolle des Wirecard-Managements und wurden verdeckt durch den Konzern finanziert. „Das Unternehmen sollte finanzkräftiger und für Investoren und Kunden attraktiver dargestellt werden“, lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft München I. Damit wollten Braun und seine Helfer „regelmäßig Kredite von Banken und sonstigen Investoren zu erlangen“. Letztlich habe er sich dadurch persönlich bereichert.
Grund zum Misstrauen gab es bei Wirecard von Anfang an reichlich. Schon vor zehn Jahren gab es erste Gerüchte über Unregelmäßigkeiten in der Bilanz. Im Frühjahr 2018 berichtete die britische Zeitung „Financial Times“ erstmals über konkrete Betrugshinweise. Die deutsche Finanzaufsicht BaFin behandelte diese Berichte jedoch mehr wie den Versuch der Verleumdung des einheimischen Unternehmens.
Hier hören die offensichtlichen Fehlleistungen deutscher Behörden allerdings nicht auf. Denn der Wirecard-Skandal hat auch einen Geheimdienst-Aspekt. Brauns Vorstandskollege Jan Marsalek war wohl offenbar ein Spion – und dazu noch ein Doppelagent. Die Bundesanwaltschaft geht derzeit dem Verdacht nach, dass er in Österreich als Informant geführt wurde.
Trotz des praktisch erwiesenen Versagens einzelner Behörden stellt Braun diesen in seiner schriftlichen Erklärung ein perfektes Zeugnis aus: Er habe zu keiner Zeit festgestellt, dass „Behörden, Aufsichtsstellen oder Politiker sich nicht korrekt“ verhalten hätten. Braun unterfütterte diese Behauptung jedoch nicht mit Einzelheiten oder Belegen.