Andreas Mehlhorn arbeitet in der Zugsparte des Siemens-Konzerns an einer entscheidenden Schnittstelle: Einerseits informiert er als Berater Regierungen und Betreibergesellschaften weltweit über neue Technologien, andererseits weiß Mehlhorn über die Bedürfnisse der Kunden gut Bescheid und kann den Entwicklern von Siemens Mobility wichtige Impulse liefern. Wir sprachen mit ihm über die Corona-Pandemie und Folgen für das Zuggeschäft der Zukunft.
Das Motto des Corona-Winters heißt lüften, lüften, lüften. Aber anders als früher lassen sich Fenster in Zügen und Trambahnen heute nicht mehr öffnen. Ging die Entwicklung in eine falsche Richtung?
Nein. Im Nahverkehr besteht laut RKI derzeit kein höheres Infektionsrisiko als in anderen öffentlichen Räumen – vorausgesetzt die Leute halten sich an die Regeln wie das Abstandhalten und das Tragen von Masken. Gerade im ÖPNV haben wir eine ständige Durchlüftung, wenn die Türen an den Haltestellen aufgehen.
Wie sieht es im Fernverkehr aus? Die Luftfahrtbranche hatte im Sommer damit geworben, in Flugzeugen sei die Luft so sauber wie in einem Operationssaal. Kann ein ICE da mithalten?
Die einfache Antwort ist, ja. Das hängt natürlich auch immer etwas vom Alter des Zuges ab und davon, welche Updates er erhalten hat. Wir führen in unseren ICEs gerade mit den Betreibern Lüftungssimulationen durch und testen neue Filtersysteme. Neben den normalen Schadstoffen, die bisher schon immer rausgefiltert wurden, liegt der Schwerpunkt jetzt auf Viren. Sie können von einer sicheren Reise ausgehen, wenn Sie mit einem ICE fahren, sich an die Regeln halten und eine Maske tragen.
Wie funktioniert so eine Klimaanlage in einem ICE?
Zum einen lässt sich die Frischluftzufuhr steuern. In einem ICE gibt es einen vollständigen Luftaustausch innerhalb von sieben Minuten. Zum anderen sind zusätzliche Partikelfilter in Entwicklung, die eben jetzt auch Viren herausfiltern können. Aber das Thema Luftübertragung ist ja nur eines von vielen Themen, die uns beschäftigen.
Woran arbeiten Sie noch?
Auch Flächenübertragungen wollen wir zusammen mit den Betreibern minimieren und das Einhalten der Abstandsregeln durch den Einsatz von Technologie verbessern. Unser Ansatz ist es, die gesamte Reisekette im Blick zu haben – also alle Prozesse vor, während und nach der Reise.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Eine unserer Lösungen sieht vor, dass Kunden beispielsweise schon vor der Buchung Informationen darüber erhalten, wie stark der Auslastungsgrad der Züge ist. So lässt sich die Reise Risiko-minimal planen. In England beispielsweise haben unsere Züge Gewichtssensoren oder wir nutzen die Analyse von Verkehrsdaten, um herauszufinden, welche Linien besonders häufig frequentiert sind. Mit Hilfe Künstlicher Intelligenz lassen sich dann Prognosen erstellen.
Und nach der Reise?
Müssen die Züge gereinigt werden. In Pandemiezeiten braucht man dazu spezifische Verfahren, um Viren abzutöten. Wir haben mit den Betreibern und Technologiepartnern ein Verfahren entwickelt, das auf UV-Licht setzt. Im Zug erfolgt dies über handgeführte UV-Desinfektionsgeräte. Und häufig angefasste Gegenstände werden abmontiert, in 360-Grad-Desinfektionskammern gelegt und dort in circa 30 Sekunden mit UV-Licht gereinigt.
Was ändert sich in zukünftigen Baureihen?
Wir werden einerseits flexible Innenraumkonzepte sehen, mit denen die Betreiber die Gesamtbelegung des Zuges sowie die Aufteilung im Zug, also Sitzen und Stehen, erster und zweiter Klasse, flexibel anpassen können. Andererseits wird auch der Zug-einsatz und die Wartung flexibler werden. Die Betreiber werden immer mehr Nachfrage- und Auslastungsdaten benutzen, um Fahrpläne und Belegungsquoten optimal aufeinander abzustimmen. Echtzeitdaten, Prognosen und künstliche Intelligenz werden dabei eine zentrale Rolle spielen.
Wo beobachten Sie noch Änderungen?
Es ist ja heute schon möglich, den gesamten Reiseprozess nahezu kontaktlos zu gestalten. Wir sind bei Siemens Mobility einer der wenigen Zugbauer weltweit, der neben dem Zugbau und der Infrastruktur auch digitale Lösungen anbietet. Beispielsweise hat Siemens die App der Deutschen Bahn, den DB Navigator, entwickelt. Das mobile Ticketing ist zwar nichts Neues, aber auch hier ist die Nachfrage durch die Corona-Pandemie noch einmal extrem gestiegen. Genauso sind multimodale Plattformen gerade stark gefragt.
Was genau ist das?
Das bedeutet, dass die Betreiber neben Zügen auch auf andere Verkehrsträger setzen, um ihren Endkunden am Bahnhof eine sichere Tür-zu-Tür Reisekette anzubieten – etwa das Fahrrad oder Car-Sharing-Systeme. Die ganze Reise lässt sich dann über eine App organisieren. Hier haben die Betreiber jetzt noch einmal einen Zahn zugelegt.
Interview: Sebastian Hölzle