München – Kaum ein anderer dürfte die Immobilienmärkte in Süddeutschland so gut kennen wie Stephan Kippes. Er leitet seit Jahrzehnten das IVD-Institut des Immobilienverbands Deutschland und ist gleichzeitig Professor für Immobilienmarketing und Maklerwesen an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen Geislingen. Kippes berichtet regelmäßig über die Entwicklung von einzelnen Teilmärkten und die Preise für Miet- und Kaufobjekte. Das ist fast immer spannend.
Nur eine Zahl war über viele Jahre ziemlich langweilig: Die für Ladenmieten in der Münchner Innenstadt. Ein 80 Quadratmeter großer Laden mit fünf Metern Ladenfront kostete im Herbst 2010 pro Quadratmeter 410 Euro. Und diese Zahl konnte Kippes seither im Halbjahresturnus wiederholen. Zuletzt im Frühjahr 2020. Kaum anders sah es bei deutlich größeren Geschäften aus: 200 m², 8 Meter Front: 320 Euro, immer und immer wieder – seit Herbst 2012. „Normalerweise liegen die Mieten so stabil wie ein Supertanker im Wasser“, sagt Kippes, der um eingängige Vergleiche nie verlegen ist.
Kurz nach dem Frühjahrsbericht hat der Supertanker wohl alle Motoren gestoppt: Denn diese Woche kamen neue Zahlen: 370 Euro für den kleinen Laden und 290 für den größeren – jeweilsrund zehn Prozent minus.
Die Ursache ist ziemlich klar: Corona, beziehungsweise die coronabedingten Einschränkungen machen Druck auf die Umsätze und damit auf die finanziellen Möglichkeiten der Händler.
Den Rückgang an möglichen Käufern hat neben der Passantenfrequenzzählung des IVD-Marktberichts auch eine Erhebung des Immobilienvermittlungsunternehmens Engel & Völkers ergeben. Beide verwenden Daten des Internetportals Hystreet.com, werten aber unterschiedlich aus: Engel & Völkers vergleicht jeweils die ersten Adventssamstage 2019 und 2020 und verzeichnet in wichtigen Einkaufsstraßen (siehe Tabelle) dramatische Einbrüche. Das IVD-Institut betrachtet den bisherigen Jahresverlauf.
Eines überrascht nicht: Die Beschränkungen führten unmittelbar zu dramatischen Einbrüchen. Zwei andere Faktoren werden aber auch sichtbar: Käufer hatten sich schon vor den Zwangsmaßnahmen zurückgehalten. Und deutlich vor dem Ende der Beschränkungen stiegen die Zahlen jeweils wieder an. Es lässt sich ein wachsender Widerwillen herauslesen, sich den Zwängen zu beugen.
Für einige Händler ist die Lage existenzbedrohend. Für die Überlebenden allerdings ergeben sich nun auch Chancen. Gewerbeimmobilien müssen vermietet werden. Und so können einige aus günstigeren Nebenstraßen in nur noch maßvoll teurere gute Lagen wechseln. Und oft ist es ihnen möglich, die Immobilieneigentümer zu Renovierungen auch der Gebäude zu bewegen, die bisher auch ohne Schönheitskur Höchstmieten erzielten, weil die nächsten Mieter bereits Schlange standen und oft hohe Summen für zügige Räumung boten, wie Kippes berichtet. Es gibt also nicht nur die Misere der Händler, sondern auch Chancen für Geschäftsideen. Chancen, die wohl nicht auf den Zeitraum der Pandemie beschränkt bleiben.
Denn es ist unsicher, ob die verlorenen Kunden wieder zurückkommen. „Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie die in der Pandemie-Zeit genutzten Online-Einkaufsmöglichkeiten so kennen und schätzen gelernt haben, dass eine erhebliche Konsumverlagerung vom Offline- in den Online-Bereich stattfindet“, heißt es im IVD-Marktbericht. Für München, wo sich im laufenden Jahr bereits mehrere traditionsreiche Familienunternehmen aus dem Zentrum verabschiedet haben, wird es eine gewaltige Herausforderung, die Innenstadt attraktiv zu halten.