EU probt Aufstand gegen US-Tech-Riesen

von Redaktion

VON MICHEL WINDE UND CHRISTOPHER HIRSCH

Brüssel – Neue Regeln und die Androhung von Milliardenstrafen sollen die Marktmacht von Internet-Giganten wie Facebook, Google oder Amazon in der EU begrenzen. Dazu legte die EU-Kommission ein umfassendes Digital-Paket vor, das den digitalen Raum in der EU – aber auch darüber hinaus – neu ordnen könnte. Als letzte Option droht die Kommission sogar damit, Tech-Riesen zu zerschlagen.

Die neuen Vorschläge sollten sicherstellen, „dass wir als Nutzer Zugang zu einer großen Auswahl sicherer Produkte und Dienste im Netz haben“, sagte die für Digitales zuständige EU-Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager. Zudem solle fairer und freier Wettbewerb gewährleistet werden. Dass die EU den Tech-Riesen zu Leibe rücken will, wurde von Politikern und Verbraucherschützern weitgehend positiv aufgenommen.

Vestager verglich die Situation mit der ersten Ampel, die Ordnung auf die Straßen in den USA gebracht habe. „Sie wurde erfunden als Antwort auf einen großen technologischen Wandel – die Erfindung des Autos.“ Wie damals auf der Straße habe man heute eine derartige Zunahme beim Online-Verkehr, „sodass wir Regeln aufstellen müssen, um das Chaos zu ordnen“. Zuletzt wurden in der EU vor 20 Jahren umfassende Spielregeln für digitale Dienste und Online-Plattformen festgelegt. Google war da gerade erst gegründet, Amazon verkaufte hauptsächlich Bücher und Facebook entstand Jahre später.

Derzeit hält die aktuelle Gesetzeslage oft nicht Schritt mit neuen Entwicklungen. Die großen Tech-Unternehmen schaffen oft Fakten, ehe die Gesetzgeber reagieren können. Frühere Wettbewerbsstrafen etwa gegen Google und Amazon wurden erst nach jahrelanger Untersuchung verhängt. Für mögliche Konkurrenten, die mit unfairen Praktiken verdrängt wurden, ist es dann zu spät.

EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton betonte am Dienstag zwar, die Vorschläge richteten sich gegen kein bestimmtes Unternehmen – allerdings ist offensichtlich, wen sie besonders treffen würden. Facebook zeigte sich in einer ersten Reaktion dennoch aufgeschlossen für die Vorschläge. Man begrüße einheitliche EU-Regeln und mehr Verantwortung dafür, schädliche Inhalte zu löschen, sagte ein Sprecher. Karan Bhatia von Google zeigte sich hingegen besorgt, dass die Vorschläge „offenbar speziell auf eine Handvoll Unternehmen abzielen und die Entwicklung neuer Produkte zur Unterstützung kleiner Unternehmen in Europa erschweren“. Man werde die Vorschläge sorgfältig prüfen.

Die EU-Kommission geht die aktuellen Probleme gewissermaßen von zwei Seiten an. Das Gesetz für digitale Märkte (Digital Markets Act, DMA) befasst sich mit den wettbewerbsrechtlichen Aspekten. Das Gesetz für digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) geht gesellschaftliche Fragen an. Bevor die Vorschläge der EU-Kommission umgesetzt werden, müssen EU-Staaten und Europaparlament sich noch auf eine Linie verständigen.

Der DSA sieht nun vor, dass alle Online-Plattformen bestimmte Regeln beachten müssen – die großen Anbieter aber deutlich mehr als die kleinen. Unter anderem müssten Online-Plattformen ihre Werbung und auch ihre Empfehlungsalgorithmen transparenter machen. Nutzer sollten wissen, warum ihnen die Produkte bestimmter Anbieter weiter oben angezeigt werden – und andere gar nicht, sagte Vestager. Illegale Inhalte wie Hassrede oder Missbrauchsdarstellungen müssten zudem zügig entfernt werden. Zugleich müssten Nutzer die Möglichkeit zur Beschwerde haben. Marktplätze wie Amazon müssten die Anbieter auf ihrer Seite überprüfen, damit weniger gefälschte Ware im Netz landet.

Bei Verstößen gegen diese Vorgaben sind Strafen von bis zu sechs Prozent des jährlichen Umsatzes vorgesehen – bei den Tech-Riesen ginge das schnell in die Milliarden.

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