Nur noch wenige Punkte trennen den Deutschen Aktienindex Dax noch von seinem Rekordstand aus dem Februar. 13 795 Punkte hatte der Leitindex damals erreicht. Warum Aktien trotz weltweiter Wirtschaftskrisen infolge von Corona einen solchen Lauf haben, fragten wir Jörg Krämer, den Chefvolkswirt der Commerzbank.
Der Dax strebt mit aller Macht in Richtung Allzeithoch. Wie kann das sein mitten in der Corona-Rezession?
Normalerweise müssten die Kurse fallen, weil die Unternehmen weniger Gewinne machen als vor der Krise. Aber das sind keine normalen Zeiten. Denn die meisten Zentralbanken haben ihre Leitzinsen auf null Prozent gesenkt und kaufen in großem Stil Anleihen. Mehr als 60 Prozent aller Anleihen haben im Euroraum eine negative Rendite. Anleger wissen beim Kauf solcher Anleihen, dass sie am Ende Verlust machen. Also weichen sie auf Sachwerte wie Immobilien oder Aktien aus. Es sind vor allem die Zentralbanken mit ihrer lockeren Geldpolitik, die die Aktienkurse nach oben treiben.
Müssen Anleger ein böses Erwachen im nächsten Jahr befürchten?
Zunächst nicht. Denn in einigen Monaten sind die meisten alten Menschen geimpft. Dann verliert Corona seinen Schrecken, und die Wirtschaft springt wieder an. Die Aussicht auf eine kräftige wirtschaftliche Erholung könnte den Dax zwischenzeitlich bis auf 15 000 Punkte steigen lassen. Aber später im Jahr steigen die Risiken.
Sollte man jetzt noch in Aktien einsteigen? Oder ist alles schon zu teuer?
Ja, Aktien sind teuer. Das Verhältnis der Aktienkurse zu den erwarteten Unternehmensgewinnen beträgt beim Dax schon 16. Normal ist ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 12. Ein weiteres Risiko ist der Optimismus der Anleger. Wer soll noch Aktien kaufen, wenn die meisten Anleger optimistisch sind und schon gekauft haben? Gerade in der zweiten Hälfte nächsten Jahres drohen an den Aktienmärkten wieder Rückschläge, die die Möglichkeit zum günstigeren Einstieg bieten.
Wo sehen Sie den Dax im nächsten Jahr? Welche Branchen zählen zu den Gewinnern?
Für Ende nächsten Jahres prognostizieren wir für den Dax 14 200 Punkte, wobei das erste Halbjahr deutlich besser laufen sollte als die zweite Jahreshälfte. Entsprechend könnten im ersten Halbjahr Aktien aus den Bereichen Chemie, Auto und Transport von der Konjunkturerholung profitieren. Dagegen dürften im schwierigen zweiten Halbjahr Versicherungen und Versorger besser laufen.
Interview: Corinna Maier