Gauting – Justin Scholz macht sich schnell ein paar Notizen. „Ich habe gerade mit einem Investor gesprochen“, entschuldigt sich der 28-jährige Wirtschaftsingenieur. Er will eine ambitionierte Idee an den Mann bringen: „Wir wollen die Energiewende global zum Selbstläufer machen und dazu brauchen wir etwas, das es überall gibt“, sagt der gebürtige Münchner: Luft. Sie in flüssiger Form als Energiespeicher zu nutzen, hat sich das von Scholz und drei Mitstreitern gegründete Start-up Phelas aus Gilching (Kreis Starnberg) zum Ziel gesetzt.
„Aus einem Liter Flüssigluft werden 727 Liter gasförmige Luft“, sagt Scholz. Bei dieser Umwandlung treten enorme Druckunterschiede auf. Es wird Energie freigesetzt, die zur Stromerzeugung taugt. Weitere Vorteile: Wird etwas undicht, entweicht nur Luft und kein Gift. „Luft kann nicht wie eine Lithium-Ionen-Batterie brennen“, erklärt Scholz weiter. Die Speichersysteme, die Phelas plant, hätten eine Systemhaltbarkeit von mindestens 15 Jahren. Anders als Batterien lassen sie über diesen Zeitraum nicht in ihrer Speicherfähigkeit nach.
Mit dieser Idee haben Scholz, Physiker Pit Sippel, Energieingenieur Leon Haupt und Unternehmensberater Christopher Knoch am 16. November 2020, mitten in der Corona-Pandemie, nach zweieinhalbjährigen Vorarbeiten Phelas gegründet. Förderer wie die Europäische Raumfahrtagentur ESA, die Munich Re oder die Initiative for Industrial Innovators gibt es dennoch schon. „Wir gehen definitiv davon aus, dass das Potenzial hat“, sagt ESA-Experte Thomas Balletre. Technologisch sei die Phelas-Idee machbar. Sie könne zu einem Teil der Energiewende werden, auch wenn es immer Risiken bei einer jungen Technologie wie dieser gebe.
„Phelas hat uns in allen Punkten überzeugt“, bescheinigt die Munich Re. Die Punkte reichen von Realisierbarkeit über skalierbare Geschäftsperspektive bis zum für den Rückversicherer besonders wichtigen Klimaaspekt. Munich Re hofft auf die Entwicklung eines Stromspeichersystems, das fossile Stromerzeugung bald vollständig verzichtbar macht.
Scholz und seine Mitstreiter sind ehrgeizig. „Wir wollen 2025 am Markt sein“, sagt er zum Geschäftsplan. Verpackt werden sollen Technik und Flüssigluftspeicher in Behältern von Schiffscontainergröße, die die Phelas-Gründer künftig auf dem Gelände von Solarfeldern oder Windparks stehen sehen. Sie sollen dort die Flaute überbrücken, also überschüssig produzierte Energie einige Stunden oder auch Tage lang für Zeiten speichern, in denen kein Wind weht oder keine Sonne scheint. Außerdem können die Speicher auch Stromerzeugern oder Industriebetrieben mit großem Strombedarf angeboten werden.
Von der Wirtschaftlichkeit ist das Gründerquartett überzeugt. Die Speicher seien kostengünstig, in großen Stückzahlen herstellbar und wegen ihrer Normgröße als Schiffscontainer gut transportabel, schwärmt Scholz. Die Innovation sieht er in der Konfiguration des Gesamtsystems.
Es soll eine eigene Speicherproduktion aufgebaut werden, was bis zum geplanten Marktstart in fünf Jahren wohl eine zweistellige Millionensumme kosten werde. Erst einmal muss potenziellen Investoren ein funktionierender Prototyp präsentiert und eine laufende erste Finanzierungsrunde erfolgreich abgeschlossen werden. Das ist fürs erste Quartal 2021 angepeilt.
„Unsere Technologie ist sehr kostengünstig, speziell für große Mengen gespeicherten Stroms“, sagt Scholz. Direkte Konkurrenten gebe es nicht. Nur das britische Unternehmen High View verfolge einen ähnlichen Ansatz, plane aber raffinerieähnliche Großanlagen.
Auch mögliche Investoren wie die Initiative for Industrial Innovators halten den Ansatz des Start-ups für zukunftsträchtig. Mit einer kleinen Summe fördert sie es bereits und überlegt, in der laufenden Finanzierungsrunde größer einzusteigen.
Die Hälfte des für die nächste Stufe insgesamt nötigen Kapitalbedarfs sei bereits zugesagt, sagt Scholz und ist zuversichtlich, auch den Rest noch an Land zu ziehen. Danach planen die Phelas-Gründer für Ende 2023 ein erstes Pilotprojekt und zwei Jahre später den kommerziellen Markteintritt. Ein Scheitern ist dennoch nicht ausgeschlossen. „Wir haben noch große Hürden vor uns“, räumt Scholz ein. Aber seine Vision treibt ihn an. „Wir wollen erneuerbare Energien weltweit so kostengünstig machen, dass es keinen Sinn mehr hat, Öl zu verfeuern oder Kohle- und Gaskraftwerke zu bauen“, sagt er.