„Die Börsenampeln stehen auf Grün“

von Redaktion

INTERVIEW Deka-Experte Joachim Schallmayer über Dax-Rekorde und die Aktienmärkte 2021

Nach einem turbulenten Börsenjahr hat der Dax sein altes Rekordniveau wieder erreicht. Wir sprachen mit Kapitalmarktexperte Joachim Schallmayer von der Dekabank über die Ursachen und wollten wissen, wie es im neuen Jahr an den Börsen weitergeht.

Mitten im Lockdown ist der Dax auf ein neues Allzeithoch geklettert. Ist das Börsenfieber fundamental begründet oder sehen wir ein Kartenhaus, das bald wieder zusammenkracht?

Wir sehen definitiv kein Kartenhaus. Der Dax holt gerade das nach, was andere Börsen weltweit längst vorgemacht haben. Seit Mitte des Jahres beobachten wir an vielen internationalen Handelsplätzen erste Rekorde. Denn fundamental hat sich verglichen mit dem Frühjahr etwas Entscheidendes verändert: Der Aktienmarkt hat schon vor Monaten einen Haken an das Jahr 2020 gemacht und blickt nach vorn. Und hier stehen die Zeichen auf Hoffnung, vor allem was das globale Wirtschaftswachstum und die Unternehmensgewinne angeht.

Mit welchem Wirtschaftswachstum rechnen Sie im neuen Jahr?

Global gehen wir 2021 von knapp sechs Prozent aus, in Deutschland rechnen wir mit 3,3 Prozent. Das sind hohe Zahlen, aber man darf nicht vergessen, dass wir von einem sehr niedrigen Niveau kommen. Das Wichtigste ist aber, dass die Richtung klar nach oben geht. Das Gleiche gilt für Unternehmensgewinne. Die deutschen Dax-Unternehmen zum Beispiel dürften ihre Gewinne im Jahr 2021 um etwa ein Drittel steigern. Und das schlägt sich bereits jetzt in den Kursen am Aktienmarkt nieder.

Mitte Februar 2020 hatte der Dax schon einmal ein Allzeithoch erreicht – das war noch vor der Pandemie. Was ist jetzt anders?

Das geld- und fiskalpolitische Umfeld ist heute ein ganz anderes. Hinzu kommt, dass auch die Zusammensetzung des Dax heute eine etwas andere ist. Damals waren noch Unternehmen wie die Lufthansa und selbst Wirecard Mitglied im Dax. Jetzt ist beispielsweise Delivery Hero mit dabei. Wir konnten auch beobachten, dass 2020 die zyklischen Branchen im Dax stark unter die Räder gekommen sind.

Etwa die Automobilindustrie?

Ja, unter anderem. Die Kurse von Automobilherstellern und -zulieferern haben auf das Hin und Her von Lockdown und Lockerungen stark reagiert, genauso wie die Chemieindustrie. Inzwischen haben die Märkte aber 2021 im Blick. Und hier hat sich auch in diesen Branchen dank des Impfstoffes die Perspektive aufgehellt. Generell lässt sich sagen: Bei Aktien, die stark unter der Pandemie gelitten haben, werden wir jetzt eine schnelle Aufholjagd sehen.

Auch die Notenbanken rund um den Globus haben in der Krise massiv interveniert. Welchen Anteil haben sie an der aktuellen Börsenrally?

Nicht nur die Notenbanken haben einen Anteil: Hinzukommen die fiskalpolitischen Maßnahmen. Die Regierungen weltweit haben Hilfsprogramme für die Wirtschaft aufgelegt, wie wir sie außerhalb von Kriegszeiten noch nie gesehen haben. Erst jetzt zum Jahresende haben die USA beispielsweise noch einmal umgerechnet 740 Milliarden Euro für die Wirtschaft freigegeben. Diese ganzen Programme haben dafür gesorgt, dass die Unternehmen nicht noch tiefer in die Rezession gefallen sind. Und dass sich die Krise am Kapitalmarkt kaum niedergeschlagen hat, ist den Notenbanken geschuldet.

Bezogen auf den Dax: Wo stünde er ohne diese Eingriffe von Staat und Notenbank?

Anfang März gingen die Kurse in den Keller – und das zu Recht. Es bestand die realistische Sorge einer Finanzmarktkrise. Es drohte ein Szenario, dass Unternehmen in die Insolvenz gehen und damit eine Kettenreaktion auslösen könnten. Wäre es zu einer solchen Kettenreaktion gekommen, hätten sich die Kurse kurzfristig tatsächlich noch weiter nach unten bewegt und sich davon auch wesentlich langsamer erholt. Diese drohende Kettenreaktion wurde aber hervorragend unterbrochen. Dadurch, dass im Rekordtempo fiskalisch und notenbankpolitisch interveniert wurde, konnte sich die Wirtschaft schneller als gedacht erholen.

Hat es sich als Vorteil erwiesen, dass nach der Finanzmarktkrise 2007/2008 sowohl die Notenbanken als auch die Regierungen krisenerprobt waren?

Absolut. Das gilt insbesondere für die Notenbanken. Hier wird seit über zehn Jahren eine Dauerkrisenpolitik betrieben. Neu an der Corona-Krise ist, dass nicht nur die Notenbanken schnell reagiert haben, sondern auch von Seiten der Regierungen rasche Unterstützung kam – vor allem in den USA.

Wie geht es im neuen Jahr an den Börsen weiter?

Die Börsenampeln stehen auf Grün. Stolpersteine wie der Brexit sind vom Tisch, genauso das Hin und Her beim Konjunkturpaket in den USA. Und gleichzeitig haben die Impfungen begonnen. Alle Hoffnungen, die man in den vergangenen Monaten hatte, haben sich erfüllt. Das erklärt, warum der Aktienmarkt in den vergangenen Tagen noch einmal deutlich nach oben gedreht ist. Diese Aufholbewegung wird sich im neuen Jahr fortsetzen, allerdings mit etwas gebremstem Tempo.

Wo sehen Sie den Dax Ende 2021?

Wir rechnen mit einem Sprung nach oben auf 15 000 Punkte, begründet durch die erwartete Aufholbewegung der Wirtschaft, der damit verbundenen Kurserholung und den erwarteten Anstieg der Dividenden.

Wie sieht es mit der Inflation aus?

Die dürfte im ersten Halbjahr deutlich ansteigen. Wir rechnen im Jahresdurchschnitt 2021 mit einer Inflationsrate von 1,3 Prozent, nach 0,4 Prozent in diesem Jahr. Daher wird eine der spannendsten Fragen im neuen Jahr sein, wie die Notenbanken auf das Anziehen der Inflation reagieren werden. Zum Glück hat die EZB bereits klargemacht, dass sie ihr Anleihekaufprogramm bis ins Jahr 2022 reichen wird. Trotzdem bleibt ein Risiko: Falls sich die Inflation schneller als erwartet nach oben bewegt, dann müssten die Notenbanken auf die Bremse treten. Bis zum von der EZB selbst gesteckten Ziel von zwei Prozent ist aber noch sehr viel Luft nach oben. Also kein Risiko, das die wirtschaftliche Erholung oder die Aufwärtsbewegung an den Kapitalmärkten stoppen sollte.

Interview: Sebastian Hölzle

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