München – Sieht man auf die nackten Zahlen, ist die Lage im bayerischen Handwerk überraschend gut: Im vierten Quartal 2020 sank der Umsatz gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 0,3 Prozent (auf 36 Milliarden Euro) und im gesamten Jahr um ein Prozent. Das müsste doch verkraftbar sein – so erscheint es auf den ersten Blick. Eine differenzierte Sicht fördert etwas anderes zu Tage: Die Lage für viele Handwerker ist verzweifelt bis hoffnungslos.
Denn die Zahlen, die der bayerische Handwerkspräsident Franz Xaver Peteranderl gestern präsentierte, schließen eine Branche ein, der es nach wie vor gut geht: Das Bau- und Ausbaugewerbe wirke „durch eine weiterhin starke Baukonjunktur“ für das Handwerk stabilisierend“. Diese Betriebe haben aktuell eher kleine Probleme. Sie brauchen mehr Fahrzeuge, um ihre Mitarbeiter coronagerecht zu den Baustellen zu bringen. Sie müssen mehr Geld für Hygienemaßnahmen ausgeben. Rechnet man diese Boombranchen heraus, dann ringt das Handwerk bereits mit Umsatzeinbußen von 24 Prozent.
Und lenkt man den Blick auf Branchen, in denen seit Wochen gar nichts geht, Friseure beispielsweise oder Fußpfleger, wird es wirklich düster. Seit Mitte Dezember sind sie dicht. Keine Novemberhilfen und – weil Anfang Dezember für sie der Lockdown noch nicht galt – auch keine Dezemberhilfen. So haben diese Unternehmen, die wie die Baubetriebe massiv in Hygienekonzepte investiert haben, keinerlei Nutzen daraus. Das ist ruinös für die meisten, die derzeit ihre Rücklagen fürs Alter angreifen müssen, um zu überleben. Sie sind zur Untätigkeit verdammt und müssen hilflos zuschauen, wie Schwarzarbeiter in ihrem Kundenstamm wildern.
Das betrifft zunehmend auch Handwerker, die nebenher ein Fachgeschäft betreiben und auf die entsprechenden Kunden angewiesen sind. Dass nun Discounter und Supermärkte mit Erlaubnis des bayerischen Gesundheitsministeriums wieder ihr volles Sortiment anbieten dürfen, während kleine Geschäfte weiter zugesperrt bleiben, sieht Peteranderl „unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung als sehr kritisch“.
Wie geht es weiter? Viele gehen wohl unbemerkt unter, weil ein erheblicher Teil der Handwerker als Personengesellschaft keine betriebliche Insolvenz anmelden kann. Sie melden sich, so Peteranderl, bei der Handwerkskammer ab und verschwinden dann im Rahmen der Privatinsolvenz – und öffentlich kaum wahrnehmbar – im wirtschaftlichen Nichts.
Dennoch rechnet er auch bei den nicht ganz so kleinen Betrieben mit einer Insolvenzwelle. „Wenn der Lockdown noch viele Wochen verlängert wird, stehen viele vor dem Aus.“
Noch dramatischer formuliert es Hauptgeschäftsführer Frank Hüpers, der im Alltagsgeschäft der Handwerkskammer für München und Oberbayern unmittelbarer Ansprechpartner vieler kleiner Unternehmer ist. Die Telefone stehen nicht still, berichtet er. Und es häufen sich, wie er sagt, die verzweifelten Anrufe. Viele Handwerker fühlen sich im Zangengriff, sagt er. „Einerseits haben sie keine Perspektive, andererseits bekommen sie keine Hilfe.
Bei den Betroffenen hat die Politik bereits massiv Vertrauen verspielt. Mit den Ankündigungen der Politik kann man sehr zufrieden sein“, sagt Peteranderl. „Mit der Umsetzung sehr unzufrieden.“ Vor allem die Bedingungen für Hilfen wurden nachträglich immer wieder verändert. Das sorgt für wachsenden Unmut. Denn immer mehr Handwerker sehen zunehmend trostlos in die Zukunft oder, wie Frank Hüpers es formuliert: „Viele Betriebe werden sterben.“