Wie Infineon den Chipmangel erklärt

von Redaktion

VON MARTIN PREM

München – Der Chipkonzern Infineon ist erfolgreich ins Jahr gestartet. Das erste Quartal, das im Konzernkalender von Oktober bis Dezember dauerte, schloss mit einem Umsatzsprung (gegenüber dem Vorjahreszeitraum) um 37 Prozent auf über 2,6 Milliarden Euro. Das Ergebnis verbesserte sich um 22 Prozent auf 265 Millionen Euro – trotz Corona und Dollar-Schwäche. Das macht Infineon-Chef Reinhard Ploss zuversichtlich fürs Jahr: Infineon erwartet einen Umsatz von 10,8 Milliarden Euro (bisher ging man von 10,5 Milliarden Euro aus).

Doch mehr als die Zahlen stand bei der gestrigen Quartalsbilanz die Frage im Zentrum, warum es zwischen dieser Branche und einem ihrer wichtigsten Kunden, der Autoindustrie, hakt. Audi und VW mussten die Produktion zeitweise stoppen, BMW hangelt sich gerade so durch den Chipmangel. Im ersten Halbjahr 2021 werden weltweit 600 000 Autos nicht gebaut, weil winzige elektronische Bauteile fehlen. Warum? Ploss braucht mehrere Erklärungsanläufe, bis er das Problem auf einen Nenner bringt. Für die Halbleiterindustrie sei „just in Time“ vollkommen undenkbar.

Just in Time ist gewissermaßen der heilige Gral der modernen Automobilproduktion. Zulieferer sollen ihre Produkte möglichst genau dann abliefern, wenn sie bei der Montage gebraucht werden. Wenn die Autoindustrie mit den Fingern schnalzt, spuren die Lieferanten.

Chip-Produktion ist dafür aber ungeeignet. Mit hohem personellen Aufwand wird eine Produktion vorbereitet. Wenn sie läuft, werden Millionen an Bauteilen ausgespuckt – ohne dass sich dafür viele Hände bewegen müssen. Da kann man nicht einfach für eine halbe Stunde umschalten, etwa vom Mikrocontroller für einen Staubsauger auf den fürs Bremslicht.

Mikrocontroller – das sind ganze Computer in einem winzigen Chip. Sie arbeiten zwar nach ähnlichem Muster, sind aber für bestimmte Einsatzzwecke spezialisiert. In Haushaltsgeräten, deren Elektronik früher aus ein paar Widerständen, Kondensatoren und viel Draht bestand, geht ohne Bauteile mit abertausenden winzigen Schaltelementen heute nichts mehr. Und ausgerechnet im Lockdown boomen viele Industrien gleichzeitig. Aber einige sind wichtiger. Allein Apple ordert so viele Chips wie die gesamte globale Autoindustrie.

Lösungen sind in Sicht, aber eben nicht so schnell, wie die von Just in Time verwöhnte Autoindustrie es gerne möchte. Dabei geht Infineon bereits in die Vollen: im Werk Dresden werden bislang brachliegende Flächen für die Produktion ertüchtigt und auch das neue Werk in Villach (Österreich) fährt früher hoch als geplant. Im Sommer sei eine Normalisierung möglich, sagt Ploss,

Langfristig sieht es so aus, dass der höhere Bedarf für autonomes Fahren und Elektromobilität die Verhältnisse zwischen den Autobauern und den wichtiger werdenden Chip-Lieferanten neu ordnet. Die Autohersteller als bisherige Alleinherrscher über die Lieferketten müssen sich an Partner auf Augenhöhe gewöhnen, die nicht jede Kröte schlucken. Ploss vermeidet es zwar, die Autoindustrie als verantwortlich für den Chip-mangel zu nennen. Doch indirekt tut er es doch: „ Viele Kunden“, so sagt er, „unterschätzen die Komplexität der Lieferketten.“

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