München – In den kommenden Monaten wird die Inflationsrate deutlich anziehen. „Insbesondere steigende Rohölnotierungen treiben die Preise“, sagt Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank Donner & Reuschel. Die Europäische Zentralbank wird deswegen die Zinsen nicht erhöhen. Sie will heftige Turbulenzen an den Kapitalmärkten nicht riskieren.
Herr Mumm, müssen sich Verbraucher und Sparer im Laufe des Jahres auf höhere Inflationsraten einstellen?
Ja, wir haben schon im Januar gegenüber dem Vormonat einen deutlichen Sprung gesehen – verursacht unter anderem durch die CO2-Abgabe und die wieder höhere Mehrwertsteuer. Im März, April und Mai werden wir einen weiteren deutlichen Inflationsschub sehen, der möglicherweise über zwei Prozent hinausgehen wird.
Was treibt die Inflationsrate?
Verantwortlich sind insbesondere anziehende Rohölnotierungen. Im vergangenen Jahr lag der Durchschnittspreis im Frühjahr bei rund 30 Euro je Barrel, in den kommenden Wochen rechnen wir mit mehr als 50 Euro. Zehn Prozent der Inflation in Deutschland sind energiepreisabhängig.
Andererseits sind in Deutschland sowie in vielen EU-Ländern Restaurants, Kultureinrichtungen und der Einzelhandel geschlossen. Die Verbraucher können nicht konsumieren. Dämpft dies nicht die Preisentwicklung?
Bislang schon. Doch spätestens im zweiten Halbjahr rechnen wir mit ersten Öffnungen und einer deutlichen globalen konjunkturellen Erholung. Der Konsumstau wird sich dann auflösen. In den vergangenen Monaten ist die Sparrate der Deutschen von zehn auf rund 16 Prozent nach oben gegangen. An den Mitteln, Konsumwünsche nachzuholen, mangelt es nicht.
Der Nachfrageüberhang trifft auf ein begrenztes Angebot?
Zum Teil ja. Die Unternehmen können aber auch deshalb höhere Preise – zumindest kurzfristig – am Markt durchsetzen, weil die Bedürfnisse gestiegen sind. So wollen viele Menschen in diesem Jahr endlich wieder in den Urlaub fliegen und nehmen dafür höhere Preise in Kauf. Ob die Verbraucher dazu auch langfristig bereit sein werden, muss man abwarten.
Im vergangenen Jahr ist in Folge der schwachen Konjunktur und aufgrund der Kurzarbeit das Lohnniveau erstmals seit 2007 zurückgegangen. Korrigiert sich das im Jahr 2021wieder und hat dies auch Einfluss auf das Preisniveau?
Ja, viele Berufstätige werden von der Kurzarbeit wieder in Vollzeit-Beschäftigung zurückkehren. Zudem werden die Probleme einer zunehmend auseinanderlaufenden Einkommensentwicklung erkannt. Die Politik dürfte für höhere Lohnforderungen seitens der Gewerkschaften Unterstützung signalisieren. Die Unternehmen werden dann versuchen, höhere Lohnkosten zum Teil auf die Konsumenten abzuwälzen.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hält die Preisstabilität bei einer Inflationsrate von knapp unter zwei Prozent für gegeben. Warum hat sie trotz Negativzinsen und milliardenschweren Anleihekäufen seit Jahren ihr Inflationsziel verfehlt?
Eine expansive Geldpolitik ist darauf angewiesen, dass niedrigere Zinsen über die Banken an die Wirtschaft weiter gereicht werden. Das hat nur zum Teil stattgefunden. Das liegt unter anderem daran, dass die Banken in Reaktion auf die Finanzkrise gezwungen sind, mehr Eigenkapital vorzuhalten. Niedrige Zinsen motivierten Investoren bislang zum Kauf von Aktien.
Zeigen sich am Aktienmarkt inflationäre Tendenzen?
Absolut. Diese Vermögensinflation finden wir nicht nur bei Aktien, sondern auch bei Immobilien. Wären die Zinsen in den vergangenen Jahren höher ausgefallen, wären die Aktienkurse und Häuserpreise nicht da, wo sie stehen.
Warum ist es für eine Volkswirtschaft wichtig, dass die Preise moderat steigen?
Ein gewisses Maß an Inflation ist Schmierstoff für die Wirtschaft. Die Verbraucher, haben einen großen Anreiz, heute zu konsumieren, wenn sie wissen, dass in ein paar Monaten das gewünschte Produkt teurer ist. Ein gesundes Maß an Inflation sorgt auch dafür, dass die Unternehmen mehr einnehmen. Zudem kann der Staat höhere Steuereinnahmen generieren.
Die Konsumenten halten sich dagegen zurück, wenn sie niedrigere Preise erwarten?
Richtig. Das schadet einer Konjunktur. Noch dazu ist es für eine Notenbank nahezu unmöglich, eine Volkwirtschaft aus einer deflationären Spirale herauszuführen.
Wird die EZB die Zinsen anheben, wenn die Inflationsrate über zwei Prozent hinausgeht?
Mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht. Alle Anlageklassen sind mittlerweile von niedrigen Zinsen abhängig. Gleichzeitig sind in Folge der Pandemie die Staatsschulden enorm gestiegen. Sollte die Europäische Zentralbank einen Richtungswechsel auch nur andeuten, riskiert sie erhebliche Verwerfungen an den Kapitalmärkten und eine neue Eurokrise. Einige Staaten der Eurozone drohen dann sehr schnell in Refinanzierungsschwierigkeitenzu kommen.
Die EZB überprüft gerade ihre geldpolitische Strategie. Welches Ergebnis erwarten Sie?
Die EZB wird – wie die US-Notenbank es bereits getan hat – erklären, dass sie auch über einen längeren Zeitraum Inflationsraten von über zwei Prozent tolerieren wird. Sie muss aber auch aufpassen, dass steigende Inflationsraten sich nicht zu sehr manifestieren. Spätestens bei einer Teuerungsrate von über vier Prozent käme sie unter starken Handlungsdruck. In den kommenden Monaten wird es sehr auf die Kommunikation von EZB-Chefin Christine Lagarde ankommen.
Der Realzins wird auf Jahre tief bleiben?
Ja. Für Sparer sind niedrige Zinsen ein massives Problem. Sie können die Kaufkraft ihres Geldes nicht erhalten. Schutz gegen Inflation bieten dagegen Sachwerte. Dazu zählen Aktien und Immobilien – auch wenn die Bewertungen und Preise in beiden Anlageklassen schon sehr hoch ausfallen.
Verspricht auch Gold Schutz gegen Geldentwertung?
Das Edelmetall gilt als sicherer Hafen der Kapitalanlage. Die aktuelle Gemengelage spricht dafür, dass Gold weiter an Beliebtheit gewinnen und der Preis weiter steigen wird.
Interview: Jörg Billina