Karlsruhe – Hunderttausende Menschen in Berlin müssen sich auf höhere Mieten und teils saftige Nachzahlungen einstellen. Das Bundesverfassungsgericht erklärte den seit Februar 2020 geltenden, in Deutschland einmaligen Mietendeckel mit einem gestern veröffentlichten Beschluss für nichtig. Die Länder seien gar nicht zuständig, der Bundesgesetzgeber habe mit der Mietpreisbremse eine abschließende Regelung geschaffen (Az. 2 BvF 1/20 u.a.). Damit gelten die im Landesgesetz festgelegten Mietobergrenzen nicht mehr – die Rechtslage ist nun so, als hätte es den Deckel nie gegeben.
Immobilien- und Bauwirtschaft, Union und FDP reagierten erleichtert auf die Entscheidung aus Karlsruhe. An der Frankfurter Börse legten Werte von Immobilienkonzernen zu. Die SPD, Linke, Grüne und Sozialverbände forderten eine stärkere Regulierung der Mieten auf Bundesebene bis hin zu einem Mietendeckel für ganz Deutschland. Das Thema ist damit im Bundestagswahlkampf.
Für die rot-rot-grüne Regierungskoalition in Berlin, die die Spirale aus stetig steigenden Mieten stoppen wollte, ist der Beschluss eine krachende Niederlage. Sie hatte zum 23. Februar 2020 die Mieten für 1,5 Millionen Wohnungen auf dem Stand von Juni 2019 eingefroren. Das betrifft neun von zehn Mietwohnungen.
Mieten, die um mehr als 20 Prozent über den Obergrenzen liegen, galten als zu hoch. Seit dem 23. November waren betroffene Vermieter gesetzlich verpflichtet, die Mieten für mehrere Hunderttausend Wohnungen zu senken.
Ein solches Gesetz hätte ein einzelnes Bundesland aber gar nicht beschließen dürfen, entschieden die Verfassungsrichter. Spätestens mit dem Erlass der Mietpreisbremse, die seit 2015 in besonders begehrten und teuren Wohngegenden greift, habe der Bund den Bereich abschließend geregelt, so die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats. Sie sei mehrfach nachjustiert worden. Dabei habe sich der Bund um Ausgleich zwischen den grundrechtlich geschützten Interessen von Mietern und Vermietern bemüht.
Für einen Mietendeckel in einem Bundesland ist daneben kein Platz mehr: Das Berliner Gesetz verenge die vom Bund belassenen Spielräume und führe ein paralleles Landesrecht „mit statischen und marktunabhängigen Festlegungen“ ein, so das Verfassungsgericht. Die Verbote begrenzten die Privatautonomie beim Abschluss von Mietverträgen über das im BGB erlaubte Maß hinaus.
Mieter müssen ab sofort wieder die vereinbarten Mieten entrichten und gegebenenfalls die Differenz zwischen der Mietendeckelmiete und der Vertragsmiete nachzahlen.
Der Wohnungskonzern Vonovia, der in Berlin etwa 42 000 Wohnungen besitzt, will keine Nachforderungen stellen. Den Mietern sollten „keine finanziellen Nachteile aufgrund getroffener politischer Entscheidungen entstehen“, erklärte Vorstandschef Rolf Buch. Der Immobilienkonzern Deutsche Wohnen hingegen will auf Nachforderungen nicht verzichten. Im Durchschnitt gehe es um 430 Euro pro Mieter, teilte das Unternehmen mit.
Dem Konzern gehören in Deutschland mehr als 155 400 Wohnungen, rund drei Viertel davon in der Hauptstadt. Dort sammelt die Bürgerinitiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ seit geraumer Zeit Unterschriften für einen Volksentscheid über die Enteignung von Immobilienunternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen.
Bundesbauminister Horst Seehofer (CSU) begrüßte die Entscheidung aus Karlsruhe. Der Mietendeckel sei „der völlig falsche Weg“ gewesen. „Er hat für Unsicherheit auf den Wohnungsmärkten gesorgt, Investitionen ausgebremst und keine einzige neue Wohnung geschaffen.“ Die Immobilienwirtschaft begrüßte, dass es nun Rechtsklarheit gebe. Von einem sehr guten Tag für die Wohnungspolitik sprach Kai Warnecke, vom Eigentümerverband Haus & Grund.
Der Deutsche Mieterbund forderte den Bund auf, „die Mietenexplosion in vielen deutschen Städten zu stoppen“. Auch zahlreiche weitere Stimmen setzen nach dem kompletten Scheitern des Landesgesetzes ihre Hoffnung auf bundesweite Regulierungen. „Wir werden weiter nach kreativen Möglichkeiten suchen und alle gesetzlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um die Mieten zu drosseln“, sagte Katina Schubert, die Linken-Vorsitzende in Berlin.