von Redaktion

Inflation klammert Wohnkosten aus

Frankfurt – Der Deutsche Aktienindex Dax schwingt sich auf immer neue Höhen, die Preise für Häuser und Eigentumswohnungen steigen unaufhörlich, auch die Mieten ziehen an, wenn auch weniger stark. Das aber, sagen Kritiker, spiegele sich nicht in der Berechnung der Inflationsrate wider. Die ist aber zentraler Gradmesser für die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB).

In Neuseeland hat die Regierung der Zentralbank jüngst empfohlen, die auch aufgrund der niedrigen Zinsen stark gestiegenen Hauspreise in der Geldpolitik stärker zu beachten. Sie müsste also die Zinsen erhöhen und das deutlich. Folgen: Die Konjunktur würde gebremst, Investitionen und Konsum gedämpft, die Währung aufgewertet, das Exportgeschäft beeinträchtigt.

Tatsächlich spielenImmobilienpreise bei der Berechnung der Inflation in Europa faktisch keine Rolle. Die Statistik-Behörde Eurostat berücksichtigt bei der Berechnung des harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) lediglich Mieten mit einem Gewicht von 6,5 Prozent. In Deutschland hat die Nettokaltmiete bei der Berechnung der Inflationsrate, so das Statistische Bundesamt, allerdings ein Gewicht von fast 20 Prozent. Kosten für selbst genutztes Wohneigentum werden ignoriert. „70 Prozent der Europäer wohnen nicht in Miete, sondern in Immobilien, die einem Haushaltsmitglied gehören“, sagt Sven Giegold, Europa-Abgeordneter und Finanzexperte der Grünen. „Dabei machen Wohnausgaben ohne Nebenkosten im Schnitt rund 17 Prozent der Gesamtausgaben von Europas Haushalten aus.“ Nötig sei eine Inflationsdefinition, die die reale Kaufkraft wiedergebe.

Die EZB arbeitee intensiv an einer Einbeziehung der Kosten für selbst genutztes Wohneigentum in die Betrachtung der Inflation. Das ist Teil der derzeit laufenden Strategie-Überprüfung. „Wir diskutieren, wie wir Hauspreise künftig erfassen. Mieten sind im Index enthalten, die Kosten für selbst genutztes Wohnen bislang nicht“, sagt Isabel Schnabel, deutsche EZB-Direktorin. Man schaue sich die Entwicklung der Vermögenspreise und deren Nebenwirkungen genau an. Allerdings entscheidet nicht die EZB über den Warenkorb, sondern Eurostat. Nach Ansicht von Lars Feld, Chef des Walter-Eucken-Instituts in Freiburg, kann man nicht von den Immobilien- auf die Mietpreise schließen. Da sei das Wachstum verhaltener. Laut des Portals Statista lag der Mietpreis-Anstieg 2020 im Schnitt bei 1,4 Prozent – in und um Großstädte aber war das Plus zum Teil zweistellig, so das Portal Immowelt.

Giegold räumt ein, dass es wegen der Datenverfügbarkeit „nicht völlig trivial“ sei, die Kosten für selbst genutztes Wohneigentum „sinnvoll“ in den Warenkorb einzubinden. In den USA aber werden bei Hauseigentümern fiktive Mietausgaben auf Höhe des aktuellen Marktniveaus unterstellt.

Ulrich Kater, Chef-Volkswirt der DekaBank, zeigt sich offen. „Künftig wäre es sinnvoll, auch eine Größe für die Wohnungsnutzung von Eigentümern im Preisindex aufzunehmen.“ Gerhard Hofmann, Vorstandsmitglied beim Branchenverband der Volks- und Raiffeisenbanken BVR, plädiert auch für die Berücksichtigung. Einen großen Effekt sieht er nicht. Die Inflationsrate wäre um rund 0,2 Prozentpunkte höher, sagt er.

Gar nichts hält DekaBank-Ökonom Kater davon, auch die Aktienkurse einzubeziehen. „Wer Wertpapierkurse mechanisch in die Steuerungsgröße der Notenbank einbaut, zwingt sie zu wilden geldpolitischen Manövern, die der Wirtschaft insgesamt Schaden zufügen würden. Dann müssten etwa bei einem Dax über 15 000 Punkten die Zinsen so angehoben werden, dass die Konjunktur ausgebremst werden würde und die Arbeitslosigkeit anstiege.“

VON ROLF OBERTREIS

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