„Niemand sagte: Hände weg von Wirecard“

von Redaktion

VON THERESA MÜNCH UND ANDREAS HOENIG

Berlin – Hinterher ist man immer schlauer, so hätte es die Kanzlerin auch ausdrücken können. Angela Merkel sagt: „Wenn man das Wissen von heute hat, stellt man sich berechtigt einige Fragen. Man hatte damals nur dieses Wissen nicht.“ Es geht um einen der größten Bilanzskandale der deutschen Nachkriegszeit, den mutmaßlichen Milliardenbetrug von Wirecard mit Schaden für tausende Kleinanleger. Merkel steht als Zeugin vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags – und verteidigt ihre eigene Rolle in dem Fall. Politisch kann die Befragung für die CDU-Politikerin kaum gefährlich werden. Doch unangenehm ist sie allemal.

Das damalige Dax-Unternehmen Wirecard, ein scheinbar aufstrebendes Fintech-Unternehmen und deutscher Champion aus dem oberbayerischen Aschheim, musste im vergangenen Sommer einräumen, dass 1,9 Milliarden Euro aus der Bilanz nicht aufzufinden sind. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass sie nie existierten und die Jahresabschlüsse von Wirecard – trotz aller positiven Testate von Wirtschaftsprüfern – seit Jahren gefälscht waren.

Merkel hatte Wirecard 2019 bei einem Besuch in China auf höchster Ebene angesprochen. Das Unternehmen wollte in den dortigen Markt einsteigen. Damals gab es bereits negative Berichte über Wirecard. Merkel jedoch betont: „Es gab damals allen Presseberichten zum Trotz keinen Anlass, von schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten auszugehen.“ Niemand habe ihr gesagt: „Hände weg von Wirecard.“ Das Bemühen des Unternehmens um Markteintritt in China habe sich mit den Zielen der Bundesregierung zur Marktöffnung gedeckt. Es sei ganz normal, dass sie sich bei bilateralen Kontakten für die Interessen der deutschen Wirtschaft einsetze.

Die Kanzlerin braucht nicht viele Akten für ihren Auftritt im Untersuchungsausschuss: ein dünner schwarzer Ordner, ein paar locker bedruckte Seiten, von denen sie ihr Eingangsstatement abliest. Die Atmosphäre ist respektvoll. Die Abgeordneten fragen weniger harsch und aggressiv als am Vortag, als Vizekanzler Olaf Scholz aussagen musste. Der Linken-Finanzpolitiker Fabio De Masi erklärt Merkel sogar freundlich fachliche Details zum Finanzmarkt.

Kurz vor ihrer Reise nach China traf sie sich mit dem ehemaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Guttenberg war Lobbyist für Wirecard, wies bei dem Treffen auch auf die Interessen des Unternehmens in China hin – auch wenn sich Merkel nach eigener Aussage nicht daran erinnert, dass der Name fiel. Sie sei jedenfalls sehr froh, „dass ich wach war“ bei dem Gespräch: Sobald es fachlich wurde, verwies die Kanzlerin auf ihren Wirtschaftsberater, an den sich Guttenberg wenden sollte. Sie könne ja schließlich nicht in China eine Bemerkung machen, nur weil sie eine Person gut kenne, betont sie.

Guttenberg schrieb Merkels Wirtschaftsberater, der Wirecard daraufhin in die Unterlagen für den China-Besuch aufnahm. Von dem Beratermandat ihres ehemaligen Ministers bei Wirecard habe sie nichts gewusst, macht Merkel deutlich. Fühle sie sich von ihm getäuscht, fragen die Abgeordneten. „Nein, so weit würde ich nicht gehen. Aber er war ganz interessengeleitet da.“ Und das schätze sie nicht. Auch Abgeordnete von SPD und Opposition kritisieren den Lobbyismus von Guttenberg scharf. Vor allem aber Hans Michelbach, der ebenfalls in der CSU ist, zeigt sich beschämt.

Der Untersuchungsausschuss will aufdecken, wer die politische Verantwortung für den Skandal trägt. Merkel sei es sicher nicht, betonen Abgeordnete schon vor der Befragung. Sie haben eher den SPD-Politiker Scholz im Visier. Die Kanzlerin sei von ihren Leuten „hereingeritten“ worden, sagt der Grünen-Finanzpolitiker Danyal Bayaz. Aber natürlich sehe es „ziemlich blöd aus, wenn die Kanzlerin im Ausland für ein Unternehmen wirbt, das tief im kriminellen Sumpf steckt“.

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