Letzte Ausnahmeregeln im Insolvenzrecht fallen

von Redaktion

Berlin/München – Am Samstag laufen die verbleibenden Ausnahmen von der Insolvenzpflicht aus. Dann müssen auch diejenigen Unternehmen, die auf Corona-Überbrückungsgeld gewartet haben, ihre Zahlungsunfähigkeit wieder mitteilen wie üblich. Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute sagen daher erneut einen Anstieg der Zahl der Insolvenzen vorher. Die bisher niedrigen Zahlen liegen vor allem an der Hilfe vom Staat und den Ausnahmen von der Anmeldepflicht, so die Ökonomen in ihrer Gemeinschaftsdiagnose. Nachdem die große Pleitewelle entgegen allen Prognosen bisher ausgeblieben ist, ist das tatsächliche Ausmaß des Nachholeffekts jedoch unklar.

Unter normalen Umständen müssen Firmen, die ihre Rechnungen nicht mehr zahlen können oder überschuldet sind, innerhalb von drei Wochen einen Insolvenzantrag stellen. Das soll Geschäftspartner und Banken davor schützen, Geld zu verlieren. Außerdem eröffnet es den Weg zu einer kontrollierten Gesundung der Firmenfinanzen. Die Regierung hatte im Frühjahr 2020 die Insolvenzpflicht angesichts der Corona-Folgen ausgesetzt und sie nach und nach wieder eingeführt. Für die meisten Unternehmen gilt sie bereits wieder. Nur diejenigen, die Ansprüche auf Corona-Hilfen haben, durften weiter warten. Das sollte verhindern, dass Firmen vom Markt verschwinden, weil die Ministerien mit den Auszahlungen nicht hinterherkommen.

Inzwischen hat sich der Stau bei den Hilfszahlungen jedoch zu einem großen Teil aufgelöst. Außerdem haben Wirtschaftswissenschaftler immer eindringlicher vor den Folgen gewarnt, die drohen, wenn unausweichliche Pleiten immer weiter hinausgezögert werden. Durch die Aussetzung der Insolvenzpflicht werden die Unternehmen nicht gesünder – die realen Probleme fallen bloß in der Statistik nicht so auf. Von „Zombie-Unternehmen“ sprechen Experten der Wirtschaftsauskunftei Creditreform. Die Creditreform führt Statistiken über Insolvenzen, Zahlungsverzüge und andere Anzeichen für den Gesundheitszustand der Wirtschaft. Es gibt noch einen zweiten Grund, der in der zweiten Jahreshälfte zu einem Anstieg der Zahl der Insolvenzen führen könnte. Die Bundesregierung hält mit ihren Corona-Hilfen auch Unternehmen am Leben, die auch ohne die akute Krise nicht überlebt hätten. Die Creditreform und das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) schätzen in einer gemeinsamen Untersuchung, dass sich ein Rückstau von 25 000 Betrieben gebildet hat, die nicht in ihrer derzeitigen Form überlebensfähig sind. „Die undifferenzierte Verteilung der Hilfsgelder und die fehlende Öffnungsperspektive“ zusammen mit der Aussetzung der Insolvenzen bilde eine fatale Kombination, sagt Patrik-Ludwig Hantzsch, Ökonom bei der Creditreform.

So haben während der Wintermonate in der Gastronomie nur halb so viele Betriebe Insolvenz angemeldet wie im Durchschnitt normaler Jahre. Wenn angeschlagene Unternehmen jedoch viel zu spät aus dem Markt ausscheiden, hinterlassen sie meist einen Berg unbezahlter Rechnungen. Das sind Folgeschäden, die sich in der Wirtschaft fortpflanzen und auch die Erholung gesunder Firmen bedrohen.

Für die Bundesregierung ist der groß angelegte Erhalt bestehender Unternehmen jedoch Teil der Wirtschaftspolitik in Corona-Zeiten. „Durch die umfassende fiskalische Antwort ist es gelungen, etwa 400 000 Insolvenzen zu verhindern“, sagt Bundesfinanzminister Olaf Scholz beim vergangenen Bankentag. Zur Stabilisierung der Lage gehört es dazu, erst einmal wenig Fragen zu stellen und viel auszuzahlen. „Es ist für mich ein selbstverständliches Gebot gesamtstaatlicher Solidarität, dass wir den betroffenen Unternehmen helfen“, sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Jeder Betrieb, das erst einmal weiterexistiert, erhält Arbeitsplätze.

FINN MAYER-KUCKUK

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