Corona-Test per Foto-App

von Redaktion

GRÜNDER IM BLICKPUNKT Softwarefirma aus Taufkirchen will Covid-Infizierte am Auge erkennen

VON LISA FISCHER

Taufkirchen – Bitte einmal mit weit offenen Augen in die Kamera schauen – und fünf Minuten später ist das Corona-Testergebnis da. Was zunächst verrückt klingt, möchte eine Software-Firma aus Taufkirchen im Landkreis München verwirklichen. Dazu hat das Unternehmen Semic RF eine App entwickelt, die mittels Künstlicher Intelligenz (KI) erkennen will, ob jemand schon mit dem Coronavirus infiziert war oder es aktuell ist. Medizinexperten sehen den Erfolg dieser App jedoch skeptisch.

Die App funktioniert laut den Entwicklern folgendermaßen: Der Nutzer atmet dreimal tief ein, um etwas mehr Lungenflüssigkeit in die Tränendrüsen hineinzubefördern. „Damit kann man den aktuellen Zustand des Probanden feststellen“, sagt Semic-Geschäftsführer Wolfgang Gruber. Dann öffnet der Nutzer die App und schickt in einem Chat-Fenster ein Foto seines Auges an den Chatpartner – die Künstliche Intelligenz (KI) namens „Emili“. Durch Betätigen des Auslösers erhält die KI 80 bis 100 Einzelbilder des Auges, die überlagert werden. Nach drei bis fünf Minuten antwortet Emili und gibt an, ob man Covid-19-negativ oder -positiv ist, eine Bindehautentzündung hat, ob ein normaler Blutdruckwert vorliegt, welchen Pulswert der Nutzer hat und die Körpertemperatur.

Die Idee des Taufkirchner Unternehmens wurde in Zusammenarbeit mit einer Universität in Kalifornien entwickelt, die sich nur mit der Wissenschaft des Auges befasst. „Die Universität hat herausgefunden, dass das Coronavirus eine ganz bestimmte Rosafarbgebung im Auge erzeugt“, erzählt Gruber. Covid-19 habe so aus über zwei Millionen Rosafarbgebungen, die im Auge vorkommen können, herausgefiltert werden können. „Die kann man mit dem bloßen Auge nicht erkennen, jedoch mit bestimmten Verfahren“, erklärt der 66-jährige Geschäftsführer. Diese Einfärbung „nennt man Pink Eye Syndrome“, sagt Gruber. Und die Künstliche Intelligenz „Emili“ von Semic RF könne diese Farbgebungen erkennen und somit Covid-19-Erkrankungen feststellen. „Auch durchgemachte Infektionen, wenn der Proband noch Spuren im Körper hat.“ Gleichzeitig könne auch eine Bindehautentzündung erkannt werden.

Im vergangenen Jahr wurden innerhalb einer Studie 70 000 Menschen in den USA über die Semic-App „Eye Scan“ auf das Coronavirus getestet. „Die Ergebnisse wurden mit den PCR-Testergebnissen verglichen“, berichtet Wolfgang Gruber. Die Deckung der beiden Auswertungen sei fast eins zu eins gewesen.

„Es ist begrüßenswert, dass solche innovativen Ansätze gemacht werden“, sagt Jakob Siedlecki (32), Oberarzt an der Augenklinik der Universität München. Das Problem bei der App sei jedoch, dass das Pink Eye Syndrom, also eine Bindehautentzündung, nur bei drei bis fünf Prozent der Corona-Patienten auftrete. „Mehr als 95 Prozent der Patienten würden also gar nicht erfasst werden“, sagt Siedlecki. Eine Bindehautentzündung kann laut dem Oberarzt das erste Symptom einer Corona-Infektion sein. Im vergangenen Jahr wurden jedoch nicht auffällig mehr Patienten in der Uniklinik versorgt, die Corona am Auge gehabt hätten. Und auch in einer prospektiven Studie an der Ludwigs-Maximilians-Universität (LMU) mit Corona-Genesenen wurden laut Facharzt Jakob Siedlecki bisher keinerlei Langzeitschäden an den Augen der Probanden nachgewiesen, auch wenn es einige Fallberichte gäbe. Außerdem könne eine Bindehautentzündung auch von Pollenflug oder bakteriellen Infektionen ausgelöst werden. Faktoren, die Veränderungen bei den Augen auslösen können, seien sehr vielfältig, so der Mediziner.

Pollenflug, Heuschnupfen und andere Allergien sieht auch der Universitätsprofessor und Mikrobiologe Franz-Xaver Reichl als „extrem schwierige Parameter“, die die Auswertung der App beeinflussen. Zudem sei eine „durchgemachte Infektion nur über Antikörper im Blut feststellbar“, erklärt LMU-Professor Reichl.

Wolfgang Gruber und sein Team sind trotz der Kritik von ihrem Produkt überzeugt. In die Forschung und Entwicklung habe die Firma Kosten im einstelligen Millionenbereich investiert, sagt der Semic-Chef. Der Zulassungsantrag für die App liege schon länger dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte vor. „Da müssen wir jetzt mal abwarten“, sagt Gruber.

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