Materialkrise: Jetzt drohen Zwangspausen

von Redaktion

VON MATTHIAS SCHNEIDER

München – Der Wohnungsbau in Bayern hat im Corona-Krisenjahr 2020 den höchsten Stand seit 2000 erreicht. 64 013 Wohnungen wurden fertiggestellt, 7,1 Prozent mehr als 2019. Der Trend scheint sich fortzusetzen, im ersten Quartal 2021 ist die Zahl der Baugenehmigungen in Bayern sprunghaft gestiegen. Sie legte um 25,8 Prozent auf 20 134 Wohnungen zu. In ganz Deutschland wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 306 376 Wohnungen fertiggestellt, 4,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Das war der höchste Stand seit 2001. Die Zahlen blieben allerdings erneut unter der Zielvorgabe der Bundesregierung von 375 000 neuen Wohnungen pro Jahr.

Trotz voller Auftragsbücher sieht sich die Baubranche in einer Zwickmühle. Viele Bauunternehmer beklagen teures und schlecht verfügbares Material. Betroffen sind fast alle Baustoffe. Laut dem Chef der bayerischen Handwerkskammer, Franz Xaver Peteranderl, mangelt es an von Schnittholz bis hin zu Plastikkübeln für die Farbabfüllung an fast allem (siehe Interview). Nach Untersuchungen der Bauindustrie Bayern (BIB) entsteht die Verknappung der Baustoffe durch eine Verkettung vieler Umstände: Zu Beginn der Pandemie seien viele Werke, vor allem in der Dämmstoffproduktion, heruntergefahren worden, unter anderem um die Anlagen zu warten. Diese konnten trotz der gestiegenen Nachfrage seit Sommer letzten Jahres noch nicht zu voller Leistung zurückkehren. Dazu kommt eine stark gewachsene internationale Nachfrage, vor allem nach Schnittholz. Die wichtigsten Faktoren sind hier China und die USA, letztere, weil ihr traditioneller Lieferant Kanada die Nachfrage nicht mehr decken kann. Diese neuen Einkäufer zahlen teilweise ein Vielfaches der in Deutschland üblichen Preise. Neben den Holz- sind auch die Rohölpreise gestiegen, was wiederum für eine Verknappung von Werkstoffen wie Epoxidharz sorgt. Diese globalen Knappheiten treffen auf teure und geringe Containerkapazitäten, was kurzfristige Lieferungen hemmt. Experten geben an, dass sich die Containerpreise, die sich Mitte letzten Jahres auf einem Tiefpunkt befanden, bis heute vervielfacht haben.

Die Auswirkungen sind schwerwiegend, manche Dämmstoffe haben Lieferzeiten von bis zu drei Monaten, einige PVC-Hersteller beriefen sich wegen Unfällen in ihren Fabriken auf höhere Gewalt und stornierten bereits zugesicherte Lieferungen.

Neben Verzögerungen wird die Branche durch drastische Preissteigerungen belastet. So haben laut der BIB Bauholz und OSB-Platten in April und Mai um 20 Prozent zugelegt, bei Kanalgrundrohren sind es sogar bis zu 50 Prozent. Robert Huber ist Sprecher des Verbandes und warnt: „Bei Abwasserrohren sind manche Formate überhaupt nicht verfügbar.“ Ein solcher Mangel kann ganze Baustellen in eine Zwangspause schicken. Für einige Güter ist keine Besserung in Aussicht, im Gegenteil: Laut BIB werden im Juni weitere Preissteigerungen beim Bauholz erwartet.

Holger Seit, Sprecher des Landesverbands Bayerischer Bauinnungen, zeigt sich alarmiert: „Eine solche Situation hatten wir seit mindestens 20 Jahren nicht.“

Noch sei es „nur“ ein finanzielles Problem, „nur vereinzelte Betriebe mussten wegen Materialmangel Kurzarbeit anmelden.“ Wenn die Knappheit den Rest des Jahres anhalte, wovon Seit ausgeht, „kann es ab Sommer zum Stillstand auf Baustellen kommen“. Und der hätte es in sich. „Dadurch können nicht nur Termine nicht eingehalten werden, unfertige Gebäude sind auch dem Wetter ausgesetzt und können schlimmstenfalls beschädigt werden.“

Vom allgemeinen Mangel können viele Pendler in München derzeit ein Lied singen. Auf der Sonnenstraße fahren wegen Renovierung der Gleise zurzeit keine Tram-Bahnen, sondern Schienenersatzverkehr in Form von Bussen, die sich durch den meist stockenden Verkehr quälen müssen. Am Mittwoch hatten die zuständigen Stadtwerke bekannt gegeben, dass der Bau sich um zwei Wochen verzögern werde – wegen fehlendem Baumaterial. Johannes Boos von der MVG erklärt: „Konkret geht es um eine Dämmschicht, die aus einem Abfallprodukt aus der Kerosinproduktion gemacht wird. Und weil gerade wenig geflogen wird, ist die Produktion heruntergefahren.“

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