München – Die Sehnsucht nach Digitalfirmen von Weltrang ist in Deutschland groß. Der Softwareriese SAP ist seit dem Untergang der Skandalfirma Wirecard der einzig verbliebene Technologiekonzern im Dax. Mit dem Münchner Jungunternehmen Celonis sorgt aber nun eine öffentlich eher unbekannte Hightechschmiede für Aufmerksamkeit – obwohl das 2011 von einem Studententrio gegründete Start-up an keiner Börse notiert ist.
„Celonis ist ein seltenes Juwel, das im Zentrum eines der größten Technologietrends unserer Zeit steht“, findet der Topmanager des US-Investors Durable Capital Partners, Henry Ellenbogen. Ihm und Mitinvestoren sind die Bayern jetzt rund 820 Millionen Euro wert. Das ist die Dimension der seit 2016 vierten und bislang größten Finanzierungsrunde. Bei der vorletzten 2019 wurde Celonis noch mit gut zwei Milliarden Euro bewertet, was die Münchner zu einem der in Deutschland seltenen „Einhörnern“ gemacht hat. So nennt man Jungunternehmen mit über einer Milliarde Euro Firmenwert.
Der von Celonis beträgt jetzt 9,1 Milliarden Euro – umgerechnet 11,1 Milliarden US-Dollar. Laut „Handelsblatt“ hat damit erstmals ein deutsches Start-up die 10-Milliarden-Dollar-Marke geknackt. Der Firmenwert von Celonis reicht an den Münchner Dax-Konzern MTU heran. „Wir sind für die Zukunft gut aufgestellt und haben Großes vor“, sagt Co-Chef und Mitgründer Bastian Nominacher nüchtern. Jährlich die Umsätze mindestens zu verdoppeln sei ein Ziel, das zuletzt gut erfüllt wurde und das werde sich erst einmal so fortsetzen.
Was die Gründer und ihre Investoren so euphorisch macht, ist die nächste Generation der Celonis-Technologie. Die sei so gut angekommen, dass die Finanzierungsrunde nötig wurde, um das Wachstum verarbeiten zu können, erklärt Nominacher. Process Mining heißt die Technologie, die Celonis entwickelt und dabei 80 Prozent Weltmarktanteil für sich reklamiert. Geschürft wird dabei nach Datenströmen in Firmennetzwerken. „Unsere Software lichtet wie ein Röntgengerät alle IT-Prozesse in modernen Unternehmen ab und deckt Schwachstellen auf“, erklärt der Manager.
Vor einem halben Jahr hat Celonis eine neue Software-Kategorie geschaffen, die man Execution Management nennt. „Das ist sozusagen der Prozessdoktor, der die beim Röntgen entdeckten IT-Schwachstellen heilt“, sagt Nominacher. Damit könnten Celonis-Kunden ihre Geschäfte nun so effizient wie der Onlineversandhändler Amazon betreiben. Die neue Softwaregeneration von Celonis erkennt zum Beispiel nicht nur, dass ein Lieferengpass droht, sondern sie schlägt auch konkret vor, dass etwa eine andere Versandart den Notstand verhindert. Firmen könnten stets mit bestehender IT weiterarbeiten, ohne sie kostspielig austauschen zu müssen, erklärt Nominacher. Stockende Datensysteme und Prozessketten von Firmen würden von Celonis-Technik wieder reibungslos zum Laufen gebracht. Der Co-Chef schreibt seiner Technologie ein Potenzial zu, die Softwarelandschaft so stark zu beeinflussen, wie es zuletzt der Megatrend Cloud Computing getan hat, also das Verlagern von Daten in die Internetwolke.
Glaubt man einer Studie der Beratungsfirma Quadrant Knowledge Solutions, ist das Wachstumspotenzial des Process Mining enorm. Für 2019 wurde darin ein Weltmarktvolumen von rund 200 Millionen Euro errechnet, bis 2025 soll sich der Markt auf knapp sechs Milliarden Euro vervielfachen. Für sich selbst nennen die Münchner keine Umsatzzahlen. Aus der Studie und dem Weltmarktanteil des Start-ups ergibt sich aber, dass Celonis 2021 gut eine halbe Milliarde Euro umgesetzt haben muss. Nominacher schweigt dazu.
Bekannt ist, dass 1300 Beschäftigte für das Start-up mit doppeltem Firmensitz in München und New York arbeiten, um das Wachstum zu stemmen. Wie lange die Milliarde Dollar aus der Finanzierungsrunde reicht, will Nominacher nicht abschätzen. „Ein Börsengang kann ein möglicher nächster Schritt sein“, sinniert er. Ob der nach Frankfurt oder New York führen könnte, lässt der Sohn einer bayerischen Bäckerfamilie offen.