Berlin/München – Ein Jahr nach dem Auffliegen des Wirecard-Bilanzskandals hat der Untersuchungsausschuss des Bundestags seinen Abschlussbericht dazu vorgelegt. Der im Oktober eingesetzte Ausschuss hatte monatelang die Vorkommnisse rund um den insolventen einstigen Dax-Konzern aufgearbeitet und dazu dutzende Zeugen und Zeuginnen vernommen – darunter auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Finanzminister Olaf Scholz (SPD).
Der Zahlungsdienstleister Wirecard hatte Ende Juni 2020 Insolvenz angemeldet. Anfang Juni hatten die Oppositionsparteien FDP, Linke und Grüne bereits ein Sondervotum zum Untersuchungsausschuss vorgestellt, in dem sie unter anderem „kollektives Aufsichtsversagen“ beklagten. Opposition und Union sehen neben Finanzaufsicht und Wirtschaftsprüfern vor allem Finanzminister Olaf Scholz (SPD) in der Pflicht. Die SPD wiederum sieht ihren Kanzlerkandidaten durch die Ausschussarbeit entlastet.
Wirecard war jahrelang fulminant aufgestiegen und hatte sogar die traditionsreiche Commerzbank aus dem Dax gekegelt. Das Unternehmen soll jedoch über Jahre systematisch seine Bilanzen gefälscht haben. Als das schließlich aufflog, musste Wirecard Ende Juni 2020 Insolvenz anmelden, der einstige Konzernchef Markus Braun muss sich wegen Betrugs verantworten.
Bei der Frage der politischen Verantwortung gingen die Meinungen jedoch auseinander. Diese liege bei Scholz, sagte gestern der Obmann der Unionsfraktion im Ausschuss, Matthias Hauer (CDU). Der Minister hätte den für die Finanzaufsichtsbehörde Bafin zuständigen Staatssekretär im Ministerium, Jörg Kukies, „freistellen sollen“, sagte Hauer. „Diese Kraft bringt Scholz nicht auf.“ Er nannte den Skandal ein „multiples Aufsichtsversagen unter den Augen des Finanzministeriums“.
Auch die für Wirecard zuständige Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY kritisierte die Union heftig. Der Wirecard-Skandal sei „ein Zeugnis des Versagens von Abschlussprüfern“, sagte Hauer. Ausschussmitglied Fritz Güntzler (CDU) fügte hinzu, EY habe den Berufsstand „in Verruf gebracht“. Der Vize-Ausschussvorsitzende Hans Michelbach (CSU) sagte, der Abschlussbericht sei „kein Freispruch“ für Scholz – die Frage nach der politischen Verantwortung bleibe darin aber ausgespart. „Das ist das bedauerliche Ergebnis unserer Koalition“ mit der SPD. Die SPD-Fraktion habe sich schützend vor ihren Kanzlerkandidaten gestellt.
FDP-Obmann Florian Toncar sagte mit Blick auf die Bundestagswahl, der Fall Wirecard beschädige Scholz’ politisches Ansehen „stärker, als er zugibt“. Dinge zu verharmlosen und dann wenig dazu zu sagen, sei „nicht die Art von Führung, die man braucht“. Auch der Obmann der Linken im Ausschuss, Fabio de Masi, wurde deutlich: Der Fall Wirecard „klebt wie Pech und Schwefel“ an dem Kanzlerkandidaten und Minister.
Die SPD hingegen sprach angesichts der Kritik an Scholz von „Wahlkampfgetöse“ und betonte, konkrete Vorwürfe lägen nicht vor. Das Thema des „kriminellen Handelns“ einer „Bande“ sei dafür zu sehr in den Hintergrund gerückt, beklagte der SPD-Obmann Jens Zimmermann. Auch die Staatsanwaltschaft in München habe „immer wieder Hinweise erhalten“, aber nie einen Anfangsverdacht gegen Wirecard gesehen, sagte Zimmermann.
Auch die Wirtschaftsprüfer hätten im Fall Wirecard „massiv versagt“, betonte die SPD. Hier liege gar der „Kern des Wirecard-Skandals“, sagte das SPD-Ausschussmitglied Cansel Kiziltepe. Die Prüfungsgesellschaft EY hätte den „Bilanzbetrug feststellen können und müssen“. Bis heute versuche EY aber, die Arbeit des Ausschusses zu behindern.
Zuletzt versuchte ein früherer Prüfer gerichtlich, seinen Namen aus dem Bericht zu bekommen – am Dienstagabend lehnte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg seinen Antrag aber ab. Der 2026-seitige Bericht wurde daraufhin auf der Seite des Bundestags veröffentlicht. Am Freitag soll er im Plenum diskutiert werden.