München – Die Autoindustrie stellt auf Elektromobilität um – und auf neue Vertriebsmodelle – bis hin zur Möglichkeit, ein Auto zu abonnieren. Erstmals hat Klaus Zellmer, Vertriebsvorstand der Marke Volkswagen, im Gespräch mit unserer Zeitung auch einen konkreten Zeitplan für den Ausstieg aus der Verbrenner-Technik genannt.
Herr Zellmer, die Stadt München wollte zur Fußball-Europameisterschaft ein Zeichen für Vielfalt und Toleranz setzen und das Stadion zum Spiel Deutschland-Ungarn in Regenbogen-Farben beleuchten. Das hat die UEFA verboten. VW ist einer der größten EM-Sponsoren. Wird es für Sie jetzt nicht Zeit, Ihre Stimme zu erheben?
Genau das tun wir. Wir haben eine Verantwortung als Sponsor und nehmen diese auch sehr ernst. Volkswagen hat seine Position zum Thema Vielfalt gegenüber den Verantwortlichen des DFB und vor allem der UEFA sehr klar zum Ausdruck gebracht. Natürlich hätten wir uns über eine Beleuchtung des Stadions in Regenbogenfarben zum Spiel Deutschland gegen Ungarn sehr gefreut. Das wäre ein wichtiges und eindrucksvolles Zeichen in die Welt gewesen.
Angesichts dessen verfestigt sich der Eindruck, dass die UEFA ein erstarrter Verband ist, bei dem der Profit an erster Stelle steht. Ist die UEFA überhaupt beeinflussbar?
Grundsätzlich müssen Verbände die Interessen vieler Mitglieder berücksichtigen. Gleichzeitig wird es zunehmend wichtiger, auch bei gesellschaftlichen Themen eine klare Haltung zu zeigen. Das gilt insbesondere für die UEFA, die über den Fußball Milliarden von Menschen erreichen kann. Dieser Herausforderung muss sich der Verband stellen. Wir als Sponsor werden die UEFA weiter daran erinnern. Das ist auch unsere Verantwortung. Mit unserer Bandenwerbung in Regenbogen-Farben setzen wir als Volkswagen in den Achtelfinal-Spielen der EM sehr deutliche Zeichen für Diversität in Sport und Gesellschaft.
Die EU steht vor einer weiteren Verschärfung der Klimaziele. Bis 2035 soll der Grenzwert für CO2 sogar auf null sinken. Das entspräche faktisch einem Verbot von Verbrennern. Kann ein solch weitgehender Eingriff der EU in den Markt der richtige Weg sein?
Die Diskussion zu den Klimazielen ist noch nicht abgeschlossen. Wir sind aber auf eine mögliche Verschärfung der Vorgaben schon heute vorbereitet und gehen sogar ein ganzes Stück darüber hinaus. In Europa werden wir den Anteil batterieelektrischer Fahrzeuge am Gesamtabsatz bis 2030 auf 70 Prozent erhöhen. Zehn Prozent mehr, als der Gesetzgeber dann vorschreiben würde. Es wird dabei Märkte geben, in denen frühzeitiger nur noch batterieelektrische Fahrzeuge erlaubt sein werden, denken Sie an Norwegen. Und es wird Märkte geben, in denen batterieelektrische Fahrzeuge ökologisch wenig Sinn ergeben würden, weil der Strom auch perspektivisch vor allem aus Kohle gewonnen wird. Deshalb müssen wir uns bei Verbrennern und batterie-elektrischen Fahrzeugen einen gewissen Spielraum lassen. Am Ende liegt die Entscheidungsfreiheit immer beim Kunden.
Ihre Konzernschwester Audi will ab 2026 nur noch elektrische Modelle neu auf den Markt bringen. 2033 sollen die letzten Verbrenner vom Band rollen. Wann schickt VW den Verbrenner in Rente?
Bis spätestens 2050 machen wir unsere gesamte Flotte CO2-neutral. In Europa steigen wir zwischen 2033 und 2035 aus dem Geschäft mit Verbrenner-Fahrzeugen aus, in den USA und China etwas später. In Südamerika und Afrika wird es aufgrund der noch fehlenden politischen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen noch ein gutes Stück länger dauern.
Also wird es bei VW einen nach Regionen gestaffelten Ausstieg aus der Verbrenner-Technologie geben?
Volkswagen muss sich als Volumenhersteller an die unterschiedlichen Transformationsgeschwindigkeiten in den einzelnen Regionen anpassen. Wettbewerber, die beispielsweise vor allem in Europa Fahrzeuge verkaufen, haben aufgrund der klaren politischen Vorgaben sicher deutlich weniger Komplexität in der Transformation zu bewältigen.
Können Sie sich angesichts der Herausforderungen durch die geplanten weiteren Verschärfungen der Emissionsvorschriften vorstellen, mittelfristig sogar ganz auf den Diesel zu verzichten?
Wir werden die Verbrennungstechnologie noch einige Jahre benötigen. Daher werden wir weiterhin in die Optimierung unserer Antriebe investieren. Das gilt natürlich auch für den Diesel. Mit Blick auf die mögliche Einführung einer EU7-Norm, ist der Diesel sicher eine besondere Herausforderung. Aber es gibt Fahrprofile, bei denen Selbstzünder immer noch sehr stark nachgefragt werden, gerade bei Kunden mit hoher Laufleistung.
Eines der größten Probleme der Branche im laufenden Jahr ist die Knappheit bei Halbleitern. Ähnlich wie andere Autobauer hat auch VW bereits Kurzarbeit anmelden müssen und die Bänder zwischendurch sogar komplett runtergefahren. War’s das jetzt?
Nach der Corona-Krise ist der Engpass bei Halbleitern sicher die größte Herausforderung, die wir aktuell zu lösen haben. Derzeit gehen wir davon aus, dass in den kommenden Monaten die Versorgung mit Chips angespannt bleiben wird, aber auch der Tiefpunkt der Versorgungskrise erreicht wird. Weitere Produktionsanpassungen sind dennoch nicht auszuschließen. Wir erwarten im zweiten Halbjahr für die Halbleiterversorgung eine Verbesserung.
Angesichts der massiven Engpässe bei Halbleitern hat zuletzt auch die Diskussion um den massiven Ausbau eigener Fertigungskapazitäten in Europa Fahrt aufgenommen. Was halten Sie davon?
Solange eine stabile Versorgung sichergestellt ist, ist es zunächst egal, wo Halbleiter produziert werden. Aber natürlich hat eine regionale Produktion grundsätzlich aus logistischer Sicht immer eine Reihe von Vorteilen. Sie verringert Kosten, reduziert Emissionen und ermöglicht schnelle Reaktionszeiten.
Sie haben im ersten Quartal beim gesamten Konzern ungefähr 100 000 Autos weniger gefertigt, als geplant war. Was erwarten Sie fürs zweite Quartal und fürs Gesamtjahr 2021?
Volkswagen hat die Auswirkungen des Halbleitermangels bisher gut kompensiert. Einen großen Anteil daran hatte ein flexibles Lagermanagement und eine intelligente Fahrzeugverteilung. Beim Absatz in Deutschland haben wir trotz aller Herausforderungen im Mai etwa 20 Prozent Marktanteil erreichen können. Wir werden alles dransetzen, die nicht gebauten Fahrzeuge im Jahresverlauf weitestgehend aufzuholen. So haben wir für unser Stammwerk Wolfsburg bereits angekündigt, durch Zusatzschichten im Sommer rund 10 000 Golf-Modelle zusätzlich zu fertigen.
VW will im Sommer seine E-Fahrzeuge auch im Abo anbieten. Wie soll das aussehen?
Es gibt vor allem jüngere Zielgruppen, die sich Alternativen zu einem klassischen Autokauf wünschen. Diese Kunden wollen vor allem Flexibilität. Also ein Auto, wenn sie es wirklich brauchen: für Stunden, Tage, Wochen, Monate oder ein oder mehrere Jahre. Was früher ganz normal war – kaufen, anmelden, pflegen und fahren – ist heute für viele jüngere Menschen weniger interessant. Schon heute werden mehr als 50 Prozent unserer Fahrzeuge in Deutschland über Leasingverträge abgewickelt. Mit dem Abo-Modell machen wir diesen Kunden jetzt ein weiteres sehr flexibles Angebot.
Aber wie unterscheiden Sie sich da von klassischen Autoverleihern wie etwa Sixt?
Beim Vermieter würden Sie typischerweise nicht ein Fahrzeug für drei Monate mieten. In der Regel kann der Kunde auch nur Kategorie, nicht aber ein konkretes Fahrzeug wählen. Wir stoßen mit unserem Abo-Modell in diese Lücke. Man hat ein spezifisches Auto zunächst für drei Monate, kann aber auch verlängern. Es sind ja vor allem jüngere Zielgruppen, die vielleicht zunächst auch das Auto testen wollen und erst später ein Fahrzeug kaufen. Wir sehen hier ein großes Potenzial: Abos und andere Angebote für kurzfristige Mobilität könnten 2030 bereits ungefähr 20 Prozent der Umsätze der Marke Volkswagen ausmachen. Der Gesamt-Umsatz der Marke lag in 2020 bei rund 71 Milliarden Euro.
Wann soll es losgehen?
Wir werden im Sommer mit einer großen Zahl von elektrischen Fahrzeugen loslegen. Wir starten in Deutschland zunächst mit einem flächendeckenden Abo-Modell und werden in einer späteren Stufe zubuchbare Services in ausgewählten Städten als zusätzliche Angebote testen.
Sie planen für diesen Sommer zudem den Start einer Plattform, um den Auto-Kauf komplett online abzuwickeln. Wie weit sind sie da?
Wir brauchen Kundennähe und die lokale Präsenz. Kundenorientierung heißt gleichzeitig, dass wir stark verändertem Kaufverhalten Rechnung tragen. Wir starten daher im Sommer mit dem Verkauf von batterie-elektrischen Fahrzeugen. Dann können Kunden den gesamten Kaufvorgang online abwickeln – von der Information und Konfiguration über die Bestellung einschließlich eines möglichen Leasings und perspektivisch auch der Inzahlungnahme eines gebrauchten Fahrzeugs. Wir erwarten, dass wir so zusätzliche Umsätze generieren und Kunden ansprechen können, die auf dem traditionellen Weg ihr Fahrzeug eher nicht im Autohaus kaufen. Der Handel bleibt aber auch beim Online-Kauf immer voll eingebunden, denn eine starke Marke braucht ein starkes Gesicht.
Interview: Martin Prem, Thomas Schmidtutz