Frankfurt – An der Börse ist es in den ersten sechs Monaten sehr gut gelaufen. Der Deutsche Aktienindex Dax hat um gut 13,5 Prozent auf fast 15 600 Zähler zugelegt und mehrere Rekorde verbucht. Wie sind die Aussichten für das zweite Halbjahr? Martin Lück, Leiter Kapitalmarkt-Strategie für den deutschsprachigen Raum beim weltgrößten Vermögensverwalter Blackrock, blickt voraus.
Sind Sie überrascht, wie gut die Börse bisher gelaufen ist?
Nein. Wir hatten auch zu Jahresbeginn eine positive Entwicklung erwartet. Ich hatte mit einem Anstieg im Dax im niedrigen zweistelligen Prozentbereich gerechnet.
Was hat die Kurse getrieben?
Mit der schnellen Verfügbarkeit von Impfstoffen und dem starken fiskalischen Stimulus haben sich die Möglichkeiten eines wirtschaftlichen Neustarts schon am Jahresanfang abgezeichnet. Das sprach und spricht weiter für eine dynamische Erholung der Unternehmensgewinne, entsprechende Erwartungen wurden über die erste Jahreshälfte zu einem guten Teil in den Kursen eingepreist. Bemerkenswert ist dabei, dass negative Nachrichten bezüglich der Pandemie, etwa das Auftauchen von Virusvarianten oder vorübergehendes Zurückgehen in den Lockdown, die positiven Erwartungen nicht maßgeblich beeinflusst haben.
Gibt es angesichts der niedrigen Zinsen derzeit überhaupt sinnvolle Alternativen zum Aktienmarkt?
Ja, etwa bei inflationsgeschützten Anleihen. Denn die Inflation wird mittelfristig wohl höher sein als in der jüngeren Vergangenheit, was allerdings vor allem für die USA gilt. Wir finden darüber hinaus private Märkte (Private Equity und Private Debt – also Beteiligungen und Fremdkapital) interessant. Diese Assetklassen sind allerdings komplex und nicht für alle Anleger geeignet. Unterm Strich halten wir es auch für Anleger für essenziell, eine relativ hohe Aktienquote im Portfolio zu halten. Dies gilt umso mehr, wenn es sich um langfristige Anlagen wie etwa zur Altersvorsorge handelt.
Welche Sektoren würden Sie empfehlen?
Mit Blick auf die Performance etwa der nächsten 12 Monate, sehen zyklische Sektoren, also etwa europäische Industrie- und Finanzunternehmen, attraktiv aus. Längerfristig bleiben Technologie- oder generell Qualitätsunternehmen unsere Favoriten. Dazu ist zu berücksichtigen, dass klimaneutrale Anlagen zunehmend im Fokus des Interesses stehen, was sowohl den Erzeugern klimafreundlicher Energien und deren Zulieferern zugutekommt als auch solchen Unternehmen, die ihre Geschäftsmodelle auf nachhaltiges Wirtschaften umstellen.
Wie lange werden die Zinsen noch im Keller bleiben?
Es dürfte noch lange dauern, bis die EZB die Zinsen anhebt. Zunächst dürfte sie im Spätsommer ein Ende der pandemiebedingten Anleihekäufe, also des Sonderprogramms PEPP, zum März 2022 in Aussicht stellen. Mit einer Zinserhöhung rechne ich nicht vor dem ersten Schritt der amerikanischen Notenbank Fed, also im Jahr 2023. Generell dürften sehr lockere Finanzierungsbedingungen noch lange gewährleistet und die Zinsen niedrig bleiben, um den wirtschaftlichen Neustart nach der Covid-Krise nicht zu gefährden.
Ein wichtiges Thema in diesen Wochen ist die anziehende Inflation. Die Bundesbank befürchtet hierzulande zeitweise einen Anstieg auf bis zu vier Prozent. Müssen sich Verbraucher Sorgen machen?
Eher nicht. Der gegenwärtige Inflationsanstieg hierzulande ist in erster Linie durch Einmaleffekte (etwa den rekordniedrigen Ölpreis vor gut einem Jahr) und den wirtschaftlichen Neustart nach Ende des Lockdowns zu erklären und damit wohl vorübergehend. Signale dafür, dass uns eine Lohn-Preis-Spirale und damit dauerhaft höhere Inflation ins Haus steht, kann ich derzeit nicht erkennen. Bundesbank und EZB tun gut daran, hier ganz entspannt zu bleiben.
Nachhaltigkeit spielt eine immer wichtigere Rolle auch am Kapitalmarkt. Sollten Anleger verstärkt auf „saubere“ Unternehmen setzen?
Ja. Inzwischen ist breit akzeptiert, dass Klimarisiken auch Anlagerisiken sind, etwa weil klimaschädlich agierende Unternehmen stärkerer Regulierung oder höheren Kosten, etwa durch CO2-Bepreisung, ausgesetzt sind. Darüber hinaus setzt sich immer mehr die Überzeugung durch, dass die Bekämpfung des Klimawandels auch enorme Investitionsmöglichkeiten bietet. Für Privatanleger können zum Beispiel Investitionen in grüne Technologie Chancen auf Wertzuwächse eröffnen.
Hierzulande ist die Bundestagswahl im zweiten Halbjahr das vermutlich wichtigste Thema. Auch an der Börse? Mit welchen Konsequenzen?
Das kommt auf das Wahlergebnis an. Vermutlich würde nur ein drastischer Politikwechsel zu spürbaren Auswirkungen an der Börse führen. Dieser erscheint aus heutiger Sicht aber unwahrscheinlich. Das derzeit naheliegendste Szenario, eine „Große Koalition 2.0“ aus den in den Umfragen führenden Parteien, dürfte von den Märkten positiv gesehen werden, da bezüglich zwei der wichtigsten Themen – Klima und Europa – in vielen wichtigen Fragen Einigkeit bei den betreffenden Parteien besteht und damit ein konstruktiver Ansatz einer derartigen Regierung vermutet wird.
Wo sehen Sie den Dax am Jahresende?
Der Ausblick für Aktien bleibt positiv, ich erwarte aber geringere Kurszuwächse bis Jahresende als im bisherigen Jahresverlauf. Der Treiber dürften weiter steigende Unternehmensgewinne sein, während auf der Risikoseite die Gefahr von Rücksetzern zunimmt. Insgesamt dürfte die Volatilität in der zweiten Jahreshälfte eher höher sein als im bisherigen Jahresverlauf. Die Kurse dürften also stärker schwanken.
Interview: Rolf Obertreis