München – Christian Bruch traut seinem Zukunftsgeschäft nicht über den Weg. „Ich schließe im Moment gar nichts aus“, bekennt der Chef des Kraftwerksbauers Siemens Energy. Er meint damit weitere Tiefschläge durch den zu gut zwei Dritteln von seinem Konzern gehaltenen deutsch-spanischen Windanlagenhersteller Siemens Gamesa. Der hat zuletzt zwei Mal in kurzer Folge seine Prognosen nach unten korrigiert, weil Geschäfte unerwartet aus dem Ruder laufen und eine neue Generation von Windkraftturbinen Sorgen bereitet.
Die Frage nach weiteren bei Siemens Gamesa schlummernden Problemaufträgen beantwortete Bruch mit entlarvender Offenheit. „Ich weiß es nicht.“ Das heißt, Siemens Energy und Bruch wissen auch ein Jahr nachdem bei Gamesa das gesamte Management ausgewechselt wurde, um die seit Jahren bestehenden Probleme auszumerzen, immer noch nicht, was in der baskischen Zentrale genau vorgeht. Noch vertraut Bruch aber dem seit einem Jahr amtierenden Siemens-Gamesa-Chef Andreas Nauen, dass er die Probleme in den Griff bekommt.
Im dritten Geschäftsquartal von Siemens Energy von April bis Juni 2021 haben die Verluste bei Siemens Gamesa erst einmal für 307 Millionen Euro Minus gesorgt. Nicht noch schlimmer wurde es nur, weil das traditionelle Kerngeschäft mit fossilen Kraftwerken, das als Auslaufmodell gilt, auf seinem Sanierungskurs zumindest geschäftlich vorwärtskommt. Der Bereich, bei dem allein in Deutschland 3000 Stellen gestrichen werden sollen, arbeitet wieder profitabel.
Eine operative Marge von gut fünf Prozent steht für das dritte Quartal zu Buche, auch wenn das nur eine Momentaufnahme ist. Denn bei den Gesprächen zum Stellenabbau in Deutschland klemmt es. Management und Betriebsrat konnten sich nicht einigen. Jetzt muss eine für solche Konflikte im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehene Einigungsstelle vermitteln. Belegschaft und IG Metall stoßen sich vor allem daran, dass Teile der Turbinenproduktion ins Ausland verlagert werden sollen. Strategisch mindestens so schmerzhaft sind die Dauerprobleme bei Siemens Gamesa, wo der Mutterkonzern kaum Zugriff auf die operativen Geschäfte hat. Ändern könnte man das nur, wenn man die Tochter komplett übernähme, was aber rund fünf Milliarden Euro kosten würde. Die hat Siemens Energy nicht übrig. Das gilt auch für die Kosten eines Zukaufs von Solargeschäften, die im Portfolio schmerzlich fehlen. Denn daran, dass erneuerbaren Energien die Zukunft gehört, hat Bruch keinen Zweifel. Aber die kommt bei Siemens Energy nicht in die Gänge.
An der Börse sorgte die desolate Lage des Dax-Konzerns mit seinen 29 Milliarden Euro Umsatz und 90 000 Beschäftigten für einen Kursrückgang auf unter 23 Euro. Für 22 Euro je Aktie war Siemens Energy vorigen Herbst als Abspaltung von Siemens an die Börse gebracht worden, was schon damals als bloßes Auslagern von Problemgeschäften interpretiert wurde. „Wir hätten einen Umschwung schneller erwartet“, räumt Bruch ein. T. MAGENHEIM-HÖRMANN