Zäsur im Stammwerk von BMW

von Redaktion

VON MARTIN PREM

München – Es ist von außen ein eher unscheinbarer Teil einer Produktionshalle im BMW-Stammwerk in München-Milbertshofen. Im Inneren riesige Plakate, ein futuristisches Auto wird von Besuchern umlagert: Der künftige i4, das erste reine Elektroauto, das neben anderen Modellen in München vom Band rollt. Die Batterie wird in allen Details gezeigt, der elektrische Antrieb und das Interieur, bei dem vor allem das superbreite Display auffällt.

Man könnte die 25 Besucher des Raums für Teilnehmer einer Führung halten. Die blauen Jacken weisen sie aber als Mitarbeiter des Werks aus. Alle rund 7000 dort Tätigen werden im Sommer durch den Showroom geführt. Alle sollen mitgenommen werden bei der Zäsur in Richtung Elektromobilität, vor der das Werk steht, das seit 99 Jahren zu BMW gehört und die älteste noch betriebene Produktionsstätte des Konzerns ist.

Seit drei Jahren ist Robert Engelhorn Leiter des BMW-Stammwerks, und wenn er auf das knappe Jahrhundert dieses Standorts zurückblickt, fällt auf, dass Veränderung eher Regel als Ausnahme ist. „Wandel und Transformation gab’s schon immer“, sagt er. Da gibt es viel aufzuzählen: Flugmotoren wurden hier gebaut und nach dem Ersten Weltkrieg Stationärmotoren. Daraus wuchs die Motorradproduktion, die BMW als einziger deutscher Fahrzeughersteller nie aufgegeben hat. Wieder Flugmotoren. Wieder Motorräder. Dann Autos – erstmals liefen in München die winzigen Isettas und die komfortablen Barockengel in den 1950ern vom Band. 1960 kamen der 700er, der BMW aus dem Strudel einer damals akut drohenden Pleite zog. Die folgende „neue Klasse“ wurde zur Mutter aller heutigen BMW-Modelle mit Verbrennungsmotor. Und jetzt folgt mit dem batterieelektrischen i4 das erste komplett abgasfreie Modell der BMW-Mittelklasse aus München. Das war die größte Dimension des Wandels in Engelhorns Zeit als Leiter des Werks an der Münchner Dostlerstraße. „Eine knackige Herausforderung“, sagt er. Aber gleichzeitig war es für ihn „die Chance, den Wandel hin zu einer neuen Fahrzeugklasse aktiv zu gestalte“.

Ein Ende der permanenten Veränderungen ist weder in Sicht, noch soll es eines geben. „Wir profitieren als Premiumhersteller davon, die Nasenspitze vor der Konkurrenz zu haben“, sagt Engelhorn. Neben dem weiteren Umbau in Richtung Elektromobilität spricht er von der Digitalisierung und der Entwicklung hin zu autonomen Fahrzeugen. Gerade wird einer riesige Werkshalle für neue Aufgaben vorbereitet.

Wandel zieht sich auch durch die Vita von Engelhorn, der für BMW von 2014 bis 2018 in China war und dort zuletzt die drei dortigen Werke leitete. Ab 1. September 2021 im Alter von 51 Jahren wechselt er als Leiter des konzernweit größten Werkes nach Spartanburg (USA). Ein großer Sprung? Es gebe Unterschiede in der Kultur einzelner Länder, bestätigt Engelhorn. Er betont aber die weltweit einheitlichen Werte, die für ihn die BMW-Kultur prägen und die er so beschreibt: „Jeder hat den Wunsch, etwas zu verbessern und zu zeigen, was in ihm steckt.“ Aufgabe der Führung sei es, Menschen dafür zu begeistern, diese Leistung zu bringen.

„Leidenschaft und Leistung ist Kern der BMW-DNA“, bestätigt Peter Weber, der beim Gespräch noch aus England zugeschaltet ist, wo er die Werke Oxford und Swindon leitet. Er folgt jetzt dem Ruf nach München als Nachfolger von Engelhorn. „Es ist für mich ein Nachhausekommen“, sagt der 49-Jährige, der auch auf ein bewegtes bisheriges Leben in BMW-Diensten zurückblickt. „Ich bin in München gestartet“, erzählt er, „nach Leipzig gegangen, wieder nach München, dann Oxford.“ Jetzt kehrt er gern nach München zurück. „Ich freue mich auf die Menschen hier.“

Die Begeisterung für den Umgang mit anderen ist für die Leiter der BMW-Werke unverzichtbar. Sie gehören zu den Top-Führungskräften im Konzern, sind aber näher an der Basis als fast alle anderen. Es sei wichtig, sagt Engelhorn, „täglich vor Ort zu sein, die Mitarbeiter bei der Produktion zu unterstützen, aber auch das Meinungsbild von der Basis in den Konzern zu spiegeln“. Weber nickt da zustimmend. Es sei das beste Gefühl „mitten in den Prozessen zu stecken und dabei strategische Entscheidungen zu treffen“.

Längst ist in der Autoindustrie die Produktion nicht mehr der ausführende Arm der Entwickler, der das umsetzt, was andere am Zeichenbrett vorgedacht haben. Entwicklung ist ein Prozess, an dem die Praktiker, die am Ende alles zusammenfügen müssen, von Anfang an beteiligt sind. „Vom Prototyp zum fertigen Fahrzeug“, sagt Engelhorn.

Der bisherige und der künftige Chef des BMW-Stammwerks hatten in den letzten Monaten akute Herausforderungen zu bewältigen, die vor wenigen Jahren keiner auf dem Schirm hatte. Corona etwa. Eine Autofabrik kann man ja nicht geschlossen ins Homeoffice schicken. Also musste man alle Prozesse so ausgestalten, dass Infektionen wirksam verhindert wurden. „Wir haben alles gemacht, damit jeder Mitarbeiter sicher ist und sich auch sicher fühlt“, sagt Weber. Er musste für Oxford die von München entwickelten Hygienekonzepte an strengere britische Vorschriften anpassen und damit nachschärfen. Doch hier wie dort waren die Infektionsschutzmaßnahmen erfolgreich, Engelhorn lobt besonders „die Selbstdisziplin und die Eigenverantwortung der Mitarbeiter“. Infektionen, so sagen beide unisono, hatten ihren Ursprung „fast ausschließlich aus dem privaten Umfeld“. In den Werken habe es „keinerlei Verbreitung“ gegeben.

Der für einen weltweiten Produktionsverbund wichtige internationale Austausch wurde trotz Pandemie aufrechterhalten. „Es war wichtig, dass wir das weitergeführt haben“, sagt Engelhorn, räumt aber ein, dass die Hürden höher wurden. Etwa bei der Visa-Erteilung oder wegen der besonders strengen chinesischen Quarantäne-Vorschriften. Das Münchner Werk ist als Leitwerk für die Produktion der Mittelklasse-Fahrzeuge auf engen Austausch beispielsweise mit Mexiko angewiesen.

Und auch bei dem Thema, das die Autoindustrie gerade weltweit plagt, sehen beide sich auf Kurs: Dem Rohstoff- und Chipmangel. „Wir haben uns besser geschlagen als andere“, sagt Robert Engelhorn, vor allem durch frühe Bestellungen. Spurlos sei der Mangel bisher auch am Werk München nicht vorbeigegangen. Aber, so Engelhorn, „wir haben keinen Produktionstag verloren“. In Oxford, wo mehr, aber kleinere Autos gebaut werden, lief es nicht so glimpflich. „Durch enge Zusammenarbeit haben wir die Produktion so lange wie möglich aufrechterhalten“, sagt Weber. Doch am Ende ging es doch darum, den günstigsten Zeitpunkt zu finden, um die Bänder anzuhalten und dann so schnell wie möglich wieder hochzufahren.

In einem Punkt fordert der Wechsel von England nach Bayern noch ein Stück mehr an Umstellung als der von Bayern in die USA. Weber hat sich daran gewöhnt, mit dem Auto auf der linken Straßenseite zu fahren. Bei der Umstellung zurück hat er schon seine Erfahrungen gemacht. „Ich bin nach zwei Tagen in Deutschland einmal auf die falsche Seite geraten“, sagt er. „Zum Glück auf einer Nebenstraße mit wenig Verkehr.“

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