Berlin – Auf die Kunden der Deutschen Bahn kommen schwere Streiktage mit vielen Zugausfällen und Verspätungen zu. Die Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) hat nach einer Urabstimmung ihre Mitglieder im Bahnkonzern zu einem Arbeitskampf aufgerufen, der im Güterverkehr bereits gestern beginnen sollte. Fern- und Regionalverkehr werden laut der Ankündigung ab heute, Mittwoch, zwei Uhr, für 48 Stunden bundesweit bestreikt, sodass die Bahn erst für den Freitag wieder mit einem störungsfreien Verkehr rechnet. Das Wochenende soll verschont bleiben, kündigte die GDL an.
Für heute und morgen hat die Bahn 75 Prozent ihrer Fernzüge gestrichen. Priorität haben besonders stark genutzte Verbindungen zwischen Berlin und dem Rhein-Ruhr-Gebiet, zwischen Hamburg und Frankfurt sowie die Anbindung wichtiger Bahnhöfe und Flughäfen. Ziel sei ein zweistündliches Angebot mit besonders langen Zügen auf den Hauptachsen, kündigte der Staatskonzern an.
Gegenüber den Fahrgästen wolle man sich kulant zeigen, die Fahrkarten länger gelten lassen oder erstatten. Im Regionalverkehr werde das Angebot regional sehr stark schwanken. Auch die S-Bahnen sind betroffen.
Man habe in dem festgefahrenen Tarifkonflikt keine anderen Möglichkeiten mehr als den Streik, sagte der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky. Einwände wegen der hohen Belastungen von Bahn und ihren Kunden durch die Corona-Krise und die Überflutungen ließ der GDL-Chef nicht gelten: „Es gibt keinen richtigen Zeitpunkt für einen Streik bei der Eisenbahn.“
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) appellierte ans Miteinander. Er sagte: „Alle müssen ein Interesse daran haben, das Vertrauen in die Bahn als zuverlässiges Verkehrsmittel aufrechtzuerhalten – erst recht nach den harten Monaten der Corona-Pandemie.“ Die Autoindustrie, die mit Lieferengpässen kämpft, forderte, schnellstmöglich nach Lösungen zu suchen. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände warf der Gewerkschaft vor, aus Eigeninteresse die Erholung der Wirtschaft zu gefährden.
Bei der Urabstimmung hatten 95 Prozent der teilnehmenden GDL-Mitglieder für einen Arbeitskampf gestimmt. Die GDL will nach Weselskys Worten eine Nullrunde im laufenden Jahr nicht akzeptieren, verlangt eine deutliche Corona-Prämie von 600 Euro und Einkommenssteigerungen von insgesamt 3,2 Prozent bei einer Laufzeit von 28 Monaten.
Die Bahn bezeichnete den Streik als „Eskalation zur Unzeit“. „Gerade jetzt, wenn die Menschen wieder mehr reisen und die Bahn nutzen, macht die GDL-Spitze den Aufschwung zunichte, den wir in Anbetracht der massiven Corona-Schäden dringend brauchen“, teilte Personalchef Martin Seiler mit. Er kritisierte, die GDL habe sich nicht an ihre Ankündigung gehalten, den Kunden ausreichend Vorlauf vor dem Streikbeginn zu lassen. Auch der Fahrgastverband Pro Bahn nannte die Ankündigung „zu kurzfristig“.
Die Konkurrenten der Bahn werden nicht bestreikt. Folgen könnten aber auch sie treffen. So erklärte der GDL-Bezirk Nord: „Auch die Kolleginnen und Kollegen bei DB Netz und bei DB Station und Service sind arg unzufrieden.“ Der Arbeitskampf könnte wegen fehlenden Personals etwa in Bahnhöfen oder im Verkehrsmanagement daher ebenso Folgen für Wettbewerber haben.
Im Hintergrund steht der Machtkampf mit der weit größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) um die rund 200 000 Beschäftigten im Bahnkonzern. Diese sind in rund 300 Einzelbetrieben tätig, in denen laut Tarifeinheitsgesetz jeweils herausgefunden werden muss, welche Gewerkschaft dort mehr Mitglieder hat und dann maßgeblich die Tarifverträge abschließen kann.
Die GDL will sich keinesfalls mit den lediglich 16 Betrieben zufriedengeben, die eine erste Zählung des Arbeitgebers ergeben hat. Neben juristischen Schritten setzt sie auf massive Mitgliederwerbung, die im ersten Halbjahr mehr als 3000 Beitritte gebracht habe. Es sei klar, dass man für Werkstätten und Fahrdienstleitungen künftig Tarifverträge abschließen werde, kündigte Weselsky an. Die EVG hatte schon im vergangenen Herbst einen Tarifabschluss mit der Bahn unterschrieben. Dieses Jahr gab es eine Nullrunde. Anfang 2022 erhalten die Beschäftigten 1,5 Prozent mehr Geld. Betriebsbedingte Kündigungen sind ausgeschlossen. Sollte die GDL mit ihren Forderungen durchkommen, müsste die Bahn mit der EVG wohl nachverhandeln.