„E-Autos werden Teil des Stromnetzes“

von Redaktion

INTERVIEW mit dem Chef des Bayernwerks – „Wir setzen auf Photovoltaik“

München – Grüner Strom ist auf dem Vormarsch. Auch in herkömmlichen Tarifen liegt mittlerweile der Anteil, der aus Erneuerbaren Energien stammt, bei über 50 Prozent. Über den Stand der Energiewende in Bayern, den Netzausbau und die Herausforderung der E-Mobilität sprachen wir mit dem Vorstandsvorsitzenden der Bayernwerk AG, Egon Westphal.

Wie sieht die bayerische Energieversorgung in zehn Jahren aus?

Wir haben im Bayernwerk-Netz jetzt schon 300 000 regenerative Energiequellen an unser Netz angeschlossen, die – über das Jahr gemittelt – 70 Prozent des abgenommenen Stroms erzeugen. Wir stellen uns das 2030 so vor: Die ländlichen Kommunen werden durch ihre Freiflächen viel Strom – primär aus Solaranlagen – erzeugen. Mit den Überschüssen speisen sie dann Leistungssenken mit hohem Verbrauch, also Städte und Industrieparks. Die Blütenblätter im Umland versorgen also den Blütenkelch im Zentrum. Darum nennen wir das Konzept Flower-Power. Damit schaffen wir in der Region eine Versorgung aus grünen Energien.

Aber kommt die energieintensive bayerische Industrie wirklich ohne Kohle- und Atomstrom aus?

Das Prinzip ist von unten nach oben gedacht. Im Nieder- und Mittelspannungsbereich – also in der regionalen Versorgung – sollen zum Beispiel Privathaushalte mit Strom versorgt werden, der regional erzeugt wird. In der Fläche Bayerns wird das sehr gut funktionieren. Für die energieintensive bayerische Industrie wird das nicht reichen. Da greifen wir auf Strom aus dem weiteren Bundesgebiet zurück. Und wenn das dann immer noch nicht reichen sollte, greifen wir auf europäischen Strom zu, der zum Beispiel über die Hochspannungstrasse Südostlink zu uns kommen wird. Damit lassen sich auch Abnehmer wie das bayerische Chemiedreieck versorgen, das schon heute zehn Prozent unseres Stromabsatzes beim Bayernwerk ausmacht. Die Netze sind der Schlüssel zu einer sicheren Versorgung.

Als die Energiewende vor zehn Jahren Fahrt aufgenommen hat, haben viele Netzbetreiber vor Netzzusammenbrüchen durch Überlastung gewarnt. Warum ist dieses Szenario nicht eingetreten?

Weil man in Deutschland Regelungen entwickelt hat, durch die Netzbetreiber zur Netzstabilisierung in die Erzeugung bestimmter Kraftwerke eingreifen können. Wir brauchen im deutschen Netz und im europäischen Verbund stabile Netzverhältnisse. Diese Ausgleichsmechanismen funktionieren gut. Aber die Sorge besteht weiterhin, deshalb wird weiter an Lösungen für die Versorgungssicherheit gearbeitet. Eine davon ist das Seekabel Nordlink, mit der das deutsche Stromnetz auf die norwegischen Speicherkraftwerke zugreifen kann. Auf regionaler Ebene wollen wir das Netz durch mehr Digitalisierung besser überwachen, steuern und damit die Versorgung sicherstellen können.

Glauben Sie, dass eine steigende Zahl an E-Autos das Netz überfordern wird?

Isoliert betrachtet – nein. Wir haben aktuell ein Pilotprojekt mit Audi laufen, in dem wir testen, wann und wie schnell geladen wird und wie sich das auf die Netze auswirkt. Das ist aber erst der Anfang. In meiner Vision sind E-Autos in zehn Jahren viel mehr Teil eines dezentralen Stromnetzes. Das Stichwort ist bi-direktionales Laden, daran arbeiten wir gerade mit BMW.

Was bedeutet das?

Das heißt, dass E-Autos nicht nur am Netz geladen werden, sondern dass sie bei Bedarf auch das Netz speisen. Ein anderes Projekt, das schon läuft, ist Oskar II, benannt nach dem Bayernwerk-Gründer Oskar von Miller. Hier verknüpfen wir ausrangierte Akkus von mehreren Audi e-trons mit einer Photovoltaikanlage und können damit aktive E-Autos laden. Das spart Kosten, neue Ladeanschlüsse sind teuer. Damit wollen wir erstens einen Anreiz für die Lebenszykluserweiterung von Akkus setzen und zum anderen unsere eigene Flotte speisen. Bis 2025 sollen alle unsere 1300 Fahrzeuge elektrisch fahren.

Wird es nicht zu unübersichtlich, wenn zu hunderttausenden Kleinstkraftwerken auch noch riesige PKW-Flotten ans Netz gehen?

Das Ganze lebt natürlich von Digitalisierung und Automatisierung. In der Entwicklung der Netzsteuerung und der vorhandenen Kapazitäten wird es insgesamt wahrscheinlich auf ein Ampelsystem hinauslaufen. Bei grün kann jeder einspeisen wie er will, bei gelb schauen wir dann genauer hin und wenn wir glauben, dass die Versorgung oder die Sicherheit gefährdet sind, dann werden wir vom Gesetzgeber sicher die Möglichkeiten bekommen, entsprechend einzugreifen.

Was ist denn mit der Wasserkraft?

Wasserkraft stellt heute rund fünfzehn Prozent des grünen Stroms aus Bayern. Aber hier sind die Potenziale relativ ausgeschöpft. Wenn es aber lokale Initiativen gibt, die zum Beispiel ein Speicherkraftwerk bauen wollen, werden wir das aus Netzsicht gerne berechnen. Aber wir setzen auf Photovoltaik. Sie wächst im Moment am stärksten, wir haben im Moment gesicherte Anträge für einen Anlagenzubau mit einer Leistung von 7000 Megawatt vorliegen. Gegenüber 2018 ist das eine Verfünffachung der angefragten Leistung. Und die brauchen wir als Gesellschaft auch, um unsere Klimaziele zu erreichen.

Sind wir denn im Zeitplan?

Die Entwicklung in der Anlagenplanung kommt so schnell voran, dass wir mit der Umsetzung im Netzbau kaum hinterherkommen. In Oberbayern ist es zum Beispiel sehr schwer, Handwerker zu finden, die die Anschlüsse machen. Aber es gibt auch oft öffentlichen Widerstand, gegen Umspannwerke zum Beispiel. Die will niemand vor der Haustür haben, aber ohne wird die Energiewende nicht gelingen. Der Dialog und das Ringen um Akzeptanz gehören zur Energiewende dazu.

Durch die 10H-Regel hat besonders die Windkraft in Bayern einen schweren Stand.

Die Regel besagt ja im Grundsatz, dass ein Windrad das Zehnfache seiner Höhe von der nächsten Ortschaft entfernt sein muss. Das macht den Bau neuer Windräder aktuell quasi unmöglich. Da müssen wir sehen, wie sich die Lage politisch entwickelt. Als Netzbetreiber sind wir natürlich technologieoffen und würden jederzeit weitere Windräder integrieren, wo es sich lohnt. Wir hoffen das Beste. Biomasseanlagen haben einen schlechteren Wirkungsgrad als Photovoltaik-Anlagen, dafür kann ihre Energie leicht gespeichert werden.

Haben Energiepflanzen Zukunft?

Aus strategischer Sicht, also für die Versorgungssicherheit: Ja, auf jeden Fall, besonders wenn die konventionellen Kraftwerke – außer Wasserkraft – wegfallen. Aber auch hier wird sich zeigen müssen, wie sich die politische Situation entwickelt. Aber auch diese Kraftwerke haben wir einkalkuliert.

Was bedeutet das alles für die Zukunft?

Wir sind jetzt in der zweiten Phase der Energiewende. Jetzt kommt die Frage, wie sie sich weiterentwickelt. Wie stellt sich die Politik die Stromversorgung vor? Oder die Wasserstofferzeugung? Es wird vor allem um Power-to-X-Technologien gehen, also die Frage, wie man elektrischen Strom in chemischer Form speichern kann. Dazu gehören zum Beispiel Wasserstoff, Methan oder auch synthetische Kraftstoffe. Das sind alles wichtige Fragen, die gerade ausgehandelt werden, aber ich bin optimistisch, dass wir das hinkriegen.

Interview: Matthias Schneider, Corinna Maier, Sebastian Hölzle

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