„Steuerlast zerstört Leistungsanreize“

von Redaktion

GASTKOMMENTAR Theo Waigel und Walther Otremba zur Finanzpolitik der nächsten Jahre

Immer wieder stand in den letzten Jahrzehnten die Finanzpolitik im Brennpunkt der Krisenbewältigung:

.  In den 80er-Jahren mussten die Spätfolgen des Ölpreisschocks mit Stagflation und dramatischer Arbeitslosigkeit bewältigt werden.

. In den 90er-Jahren waren es die enormen Investitionen in die Deutsche Einheit.

. Die Finanzkrise von 2008/2009 brachte erneut erhebliche Finanzierungsprobleme.

. Und jetzt hat die Bewältigung der Corona-Pandemie enorme Finanzanforderungen erzeugt.

In allen diesen Phasen hat sich das Prinzip der „Symmetrischen Finanzpolitik“ als überlegene Leitlinie der Krisenbewältigung bewährt. Sie ist die Synthese aus zwei klassischen Denkschulen:

. Manche glauben, man könne einfach aus der Krise herauswachsen und so die Probleme hinter sich lassen.

. Nach klassischen Regeln der Finanzdisziplin ging man dagegen – wie zum Beispiel in der Weltwirtschaftskrise vor knapp 100 Jahren – davon aus, man müsse erst hart sanieren, bevor man wieder in die Wirtschaftskraft investieren könne.

Tatsächlich muss beides erfolgen. Wir sind immer gut damit gefahren, wenn wir mit gesunden Finanzen in eine Ausnahmesituation geraten sind. So war es Anfang der 90er-Jahre mit der Wiedervereinigung, so war es bei der Finanzkrise 2008/2009 und so ist es in der aktuellen Herausforderung. Ende der 70er- und zu Beginn der 80er- Jahre hatten wir dagegen das Negativ-Beispiel, als uns der Ölpreis-Schock in einer Phase schon überstrapazierter Öffentlicher Haushalte traf und die daraus resultierende Staatsverschuldung selbst zur Krisenverschärfung beitrug.

Wenn wir die beiden Elemente der symmetrischen Finanzpolitik, das Konsolidieren und das Investieren betrachten, gibt es niemanden, der einem scharfen Restriktionskurs das Wort redet. Dagegen gibt es viele, auch in wichtigen Positionen, die sich vor der Aufgabe eines Ausgleichs für die Corona-Folgekosten drücken möchten.

Dabei gilt es, den Konsolidierungsteil ernst zu nehmen. Garanten der „Schwarzen Null“ in den letzten Jahren waren die ständig abnehmenden Zinslasten und die Schritt für Schritt ansteigende Steuerquote. So verringerten sich die Zinslasten im Bundeshalt vor dem Hintergrund der ultraleichten Geldpolitik der EZB von 2015 bis 2019 um fast zehn Milliarden Euro jährlich. Und der wachsende Anteil der Steuereinnahmen am Bruttoinlandsprodukt, die sogenannte Steuerquote, bescherte dem Bund im gleichen Zeitraum jährliche Zusatzeinnahmen von rund acht Milliarden Euro. Dadurch fiel nicht weiter auf, dass der Bundeshalt zwischen 2015 bis 2019 – ohne Zinsausgaben – mit durchschnittlich 4,5 Prozent deutlich schneller wuchs als das Bruttoinlandsprodukt mit 3,3 Prozent.

Das wird so nicht weitergehen, wenn wir die neu aufgenommenen Schulden der Corona-Krise bewältigen und gleichzeitig Wachstum fördern wollen. Das Umsteuern muss in den Köpfen stattfinden. Es hat sich ein Denken ausgebreitet, in dem eine Milliarde Euro die kleinste Münze ist. Viele glauben auch, das Geld würde uns auf Dauer zu null Prozent Zinsen, mehr oder weniger schubwagenweise in die öffentlichen Kassen gekarrt. Sie übersehen dabei: Das funktioniert nur so lange, wie das über Jahrzehnte erworbene Vertrauen der Finanzmärkte in die deutsche Stabilität anhält.

Natürlich waren in der Corona-Krise und jetzt in der Flutkatastrophe schnelle und großzügige Hilfen richtig – so wie übrigens damals bei der Wiedervereinigung. Aber gerade, wenn es um die Rettung von Menschleben und den Wiederaufbau von Existenzen geht, ist strikte Finanzdisziplin in allen anderen Bereichen unverzichtbar. Dann lohnt es sich mal wieder, alle Subventionen und lieb gewonnenen Sonderleistungen durchzuprüfen, auch wenn eine Einzelposition nur 50 Millionen Euro bringt.

Wir haben beim Bund schon vor Jahren in der Haushaltsplanung erfolgreich das Top-down-Verfahren eingeführt. Das heißt, zuerst wird der finanzierbare Haushaltsrahmen insgesamt festgelegt und erst dann werden die einzelnen Budgetwünsche darin eingepasst. Wenn wir das für alle öffentlichen Haushalte anwendeten und bis 2025 eine Obergrenze für den Ausgabenanstieg auf zwei Prozent festlegten, hätten wir bei einer mittelfristigen Inflationsrate von durchschnittlich unter zwei Prozent immer noch einen kleinen, realen Ausgabenanstieg.

Wenn, wie bis vor Corona, die gesamtwirtschaftliche Leistung und damit im Gleichschritt die Steuern und Abgaben um 3,5 Prozent zunähmen, ergäbe sich ein auf den gesamten Staatshaushalt bezogener Handlungsspielraum, der jährlich um gut 20 Milliarden Euro anwachsen würde. Im Jahr 2025 wären es insgesamt schon 80 Milliarden Euro, die für wachstumsstärkende Investitionen, verbesserte steuerliche Rahmenbedingungen und die Rückkehr zum Haushaltsausgleich genutzt werden könnten. Felder für deutlich mehr öffentliche Investitionen sind schnell, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, benannt:

. Digitale Infrastruktur,

. Schaffung sicherer und kostengünstiger Energie,

. Leistungsfähige Gesundheitsvorsorge.

Das und anderes aus dem staatlichen Investitionshaushalt kann und wird helfen, private Investitionen zu erleichtern und Ersatz für Arbeitsplätze zu schaffen, die dem Strukturwandel zum Opfer fallen. Es sei allerdings vor zu einfachen Rechnungen gewarnt, nach der sich jede Kreditaufnahme für investive Ausgaben selbst finanziere. Staatliche Investitionen sind gerade da notwendig, wo ein unmittelbarer finanzieller Rückfluss nicht zu erwarten ist, wie zum Beispiel bei der Grundlagenforschung. Es ist also ratsam, auch die sogenannten investiven Ausgaben weitgehend über laufende Einnahmen zu finanzieren und nicht künftige Generationen noch zusätzlich mit der Schuldentilgung zu befrachten. Die haben schon genug mit anderen latenten Lasten, wie dem Klimaschutz und den Demografieproblemen, zu tragen.

Als zweiter Flügel der symmetrischen Finanzpolitik muss der durch Ausgabendeckelung zu gewinnende Handlungsspielraum zu einem Teil in eine grundlegende Steuerreform investiert werden. Seit 2005 ist die Steuerquote von 20,9 Prozent fast Jahr für Jahr auf 24,0 Prozent im Jahr 2019 angestiegen, weil seit rund 20 Jahren keine umfassende Steuerreform mehr angepackt wurde. Auch liegt Deutschland, was die Höhe der Gesamtsteuerbelastung bei Kapitalgesellschaften angeht, inzwischen auf Platz 29 von 32 Industrieländern. All das zerstört Leistungsanreize und begünstigt Investitionen im Ausland statt bei uns.

Arbeitsgebiete für Steuerreformer gibt es genug. Die schwankungsanfällige und damit für die Kommunen problematische Gewerbesteuer gehört schon lange auf die Reformagenda. Dabei müssen die Kommunen durch stärkere Beteiligung an anderen Steuern natürlich kompensiert werden. Das gilt auch für die im Zusammenspiel mit den Sozialabgaben schon für mittlere Einkommensklassen extrem hohe Grenzbelastung im Lohn- und Einkommensteuerbereich.

Auch bei steuerlichen Programmen sei allerdings vor Selbstfinanzierungs-Selbsttäuschungen gewarnt. Allenfalls ein Drittel, so haben wir früher schätzen lassen, kommt über mehr Wachstum und zusätzliche Steuereinnahmen zurück.

Am Ende kann es realistisch gelingen, durch strikte Haushaltsdisziplin die aktuellen Deckungslücken wieder zu schließen, die durch den Abbau der Sonderbelastungen ohnehin geringer werden. Die „Schwarze Null“ und die Maastricht-Kriterien bleiben die Messlatte. Sie bieten in Krisenzeiten, wie sich wieder erwiesen hat, genug Luft zum finanzpolitischen Atmen. So könnten wir uns auf die nächste Problemlage am besten vorbereiten – mit gesunden öffentlichen Finanzen und einer starken Wirtschaft.

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