Ingolstadt/München – Die virtuelle Wirklichkeit (VR) ist bereits in vielen Bereichen des Lebens angekommen. Man wandert mit der klobigen Brille durch eine Gegend, von der man hunderte Kilometer entfernt ist. Man landet ein Flugzeug, das es gar nicht gibt. Oder man trainiert in einer virtuellen Werkhalle Arbeiten, bei denen nichts kaputtgehen kann, weil alles, was man sieht und scheinbar berührt, nur virtuell als elektrisch erzeugtes Abbild vorhanden ist. Das mit dem Üben ist in Teilen der Autoindustrie inzwischen Standard.
Doch was macht ein Mensch, der mit der VR vor den Augen auf dem Rücksitz eines Autos sitzt? Er tut womöglich etwas für seine Gesundheit. Denn Ingolstädter Entwickler haben herausgefunden, wie man auf diesem Weg, die Übelkeit, die viele Autoinsassen befällt, erfolgreich bekämpft. Das Start-up Holoride, eine Ausgründung von Audi, hat es geschafft virtuelle Inhalte mit ohnehin vom Auto erfassten Sensor- und Navigationsdaten zu verbinden und die virtuellen Inhalte an sie anzupassen.
Der Gedanke dahinter: Die Übelkeit beim Autofahren entsteht – wie auch die Seekrankheit auf Schiffen – wenn die Bewegungen, die auf den Körper einwirken, mit dem, was man sieht, nicht übereinstimmen. Im Auto also vorwiegend auf den Rücksitzen, wo Kopfstütze und getönte Scheiben den Blick nach draußen erschweren. Oft passiert es auch, wenn man auf dem Tablet ein Video verfolgt oder wenn Kinder auf dem Handy daddeln.
Doch genau da setzt Holoride an: Die Software des Unternehmens verknüpft die Bewegungen des Autos mit den virtuellen Bildern in der Brille. Bisher sind es zwei harmlose Computerspiele, in denen das umgesetzt wird. Lenkt der Fahrer des Autos nach rechts, macht auch das virtuelle Raumschiff eine Rechtskurve. Hält der Fahrer an einer Ampel, bleibt auch das Raumschiff stehen. Immer passt sich die Landschaft dem Straßenverlauf an. Man sieht zwar keine Fahrbahn. Doch ihre Kontur ist in der virtuellen Landschaft eingeprägt. Im Rahmen der IAA können Besucher Demofahrten in einem Audi e-tron mit dem System übernehmen.
Was bisher auf Computerspiele beschränkt ist, kann in Zukunft auch auf ganz andere Bereiche ausgedehnt werden. In der entsprechenden virtuellen Umgebung könnte man E-Mails bearbeiten, schreiben, lesen, oder auch Filme ansehen – ohne dass einem dabei schlecht wird. Auch historische Stadtführungen per VR-Brille im Auto werden möglich. So konnten Besucher der Salzburger Festspiele in diesem Jahr mit Audi und Holoride eine virtuelle Zeitreise zu musikalischen Meilensteinen der Festspielgeschichte unternehmen. Dabei wurden historische Szenen eingespielt.
Vor der IAA hat Audi in Ingolstadt Testfahrten mit dem Holoride-System organisiert. Fazit des Fahrers, der die Testpersonen durch die Stadt chauffierte. Sein Fazit: „Selbst Passagiere, denen im Auto leicht schlecht wird, hatten diesmal keine Probleme.“
Das System ist vorerst auf die Beifahrer beschränkt. Langfristig könnte es bei autonom fahrenden Autos auch vom Fahrersitz aus für Büroarbeiten benutzt werden. Doch das ist Zukunftsmusik. Das Holoride-Angebot nicht. Es soll 2022 auf den Zubehörlisten des Ingolstädter Autobauers zu finden sein.
MARTIN PREM