London – Weil Lkw-Fahrer fehlen, die Treibstoff liefern, geht den Tankstellen im Land der Sprit aus. Entspannung ist nicht in Sicht. Es mussten die ersten Tankstellen schließen, bis die britische Regierung tätig wurde. Mittlerweile ist die Mehrheit der Zapfsäulen ausgetrocknet. Ärzte schlagen bereits Alarm, sie könnten ohne Sprit bald nicht mehr zur Arbeit kommen.
Seit Tagen kommt es an britischen Tankstellen zu Panikkäufen und langen Schlangen. Nach langem und erbitterten Widerstand ließ sich die britische Regierung am Wochenende darauf ein, bis zu 5000 Visa für ausländische Fahrer bereitzustellen. Boris Johnson „hat genug von den schlechten Schlagzeilen und will das geregelt haben“, zitierte die „Financial Times“. Allerdings sind die Visa auf die Monate bis Weihnachten befristet. Daher die Frage: Kommt überhaupt jemand?
Da auch in etlichen europäischen Ländern, darunter Deutschland, ein Mangel an Fahrern besteht, müssen britische Firmen viel bieten, um überhaupt ein attraktiver Arbeitgeber für wenige Monate zu sein. Ein Vertreter der Federation of Dutch Trade Unions, die Lastwagenfahrer aus ganz Europa vertritt, sagte der BBC: „Die Arbeitskräfte aus der EU, mit denen wir sprechen, werden nicht für kurzfristige Visa zurückkehren, um Großbritannien aus dem Mist zu helfen, den sie selbst gebaut haben.“
Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng will über die Visa hinaus Wettbewerbsregeln außer Kraft setzen, damit die Branche gemeinsam gegen die Engpässe vorgehen und eine Grundversorgung an Benzin und Diesel organisieren kann. Das könnte zumindest den akuten Notstand an der Zapfsäule beheben, ist aber auch keine Lösung für andere Branchen. Dabei sind es fast alle, die dringend auf die Lkw-Fahrer angewiesen sind: Supermärkte können ohne sie ihre Regale nicht füllen, Spielzeug-Hersteller fürchten um das Weihnachtsgeschäft und einigen Pub-Ketten geht das Bier aus. „Alles, was wir in Großbritannien haben, kommt auf der Ladefläche eines Lkws zu uns“, betonte Rod McKenzie von der Road Haulage Association.
Dass Soldaten die Tanklaster bald durch britische Straßen steuern könnten, wird im Londoner Regierungsviertel zwar diskutiert, aber bislang noch nicht umgesetzt. Das Militär sei auch „kein Allheilmittel“, sagte Brian Madderson von der Petrol Retailers Association in einem BBC-Interview.
Nach Angaben des Branchenverbands Petrol Retailers Association, der rund 5500 unabhängige Tankstellen vertritt, haben derzeit zwei Drittel der Mitglieder keinen Kraftstoff mehr. 50 bis 90 Prozent der Tankstellen seien leer, die anderen drohten bald auszutrocknen.
„Von der Logistik zum Gastgewerbe, von Kultur zum Bausektor fürchte ich, kann man nun sehen, wie die Regierung erntet, was sie mit einem harten Brexit gesät hat“, sagte der Londoner Bürgermeister, Sadiq Khan von der Labour-Partei. „Man kann nicht fünf Jahre lang über die EU und EU-Bürger herziehen und dann erwarten, dass sie zurückkommen und uns aushelfen.“ LARISSA SCHWEDES