Die Soziale Marktwirtschaft ist seit mehr als 70 Jahren einer der Erfolgsgaranten dieses Landes. Ohne sie wären das deutsche Wirtschaftswunder und der damit geschaffene Wohlstand undenkbar. Bis heute erweist sie sich als erfolgreichste Spielart der freien Marktwirtschaft.
Eine Umfrage förderte zwar jüngst zutage, dass der Rückhalt für die Soziale Marktwirtschaft in der Gesellschaft zunimmt. Ein erfreulicher Befund. Aber handeln wirklich auch alle danach? Oder hat sich vielleicht längst ein paternalistisches Verständnis von Sozialer Marktwirtschaft herausgebildet, das die sozialen Leistungen des Staates in den Vordergrund rückt und die marktwirtschaftliche Komponente in den Hintergrund treten lässt? Denn augenscheinlich macht sich in Teilen der Gesellschaft ein befremdliches Staatsverständnis breit, nach dem Motto „Lass das mal den Staat machen“.
Und auch bei zahlreichen politischen Entscheidungsträgern zeigt sich ein merkwürdiges Verständnis des Verhältnisses von Staat und Wirtschaft. Eine Reihe von politischen Vorstößen belegt das: Mietendeckel, Planungen für höhere Steuern oder ein ständiges Herumbasteln an der Schuldenbremse, ein einseitiges Verständnis von Verbraucherschutz – Deutschland gleitet an vielen Stellen in die planende Staatswirtschaft ab und viele applaudieren dazu.
Trotz aller Probleme und Unzulänglichkeiten gibt es kein faireres, sozialeres, wettbewerbs- und widerstandsfähigeres sowie gerechteres ökonomisches System. Es geht schlicht um: Freiheit statt Verbote, Orientierung an dem, was die Kunden wollen, statt Vorschriften, Wettbewerb statt Dirigismus und einen Staat, der die Spielregeln definiert und keine regulatorischen Fesseln aus politischen Eigeninteressen anlegt.
Viele Beispiele zeigen, wie sehr das richtige Verhältnis von Staat und Wirtschaft bereits aus dem Lot geraten ist oder kurz davor steht: Mit einem Abklingen der Corona-Krise hat das Thema Nachhaltigkeit wieder an Schwung gewonnen. Doch längst nicht alles vom dem, was der Staat in diesem Zuge plant, verdient das Prädikat „nachhaltig“. Mit der schlichten Erwartung, Banken sollten Kredite in „grün“ und „nicht grün“ einteilen und diese Unterscheidung zum maßgeblichen Vergabekriterium machen, missbraucht der Staat die Kreditinstitute in ihrer Funktion als Finanzintermediäre.
Die freie Entscheidung wird noch mit anderen Mechanismen ausgehöhlt. Mit einer europäischen Einlagensicherung (EDIS) soll die Bankenunion vollendet werden. Sicherungssysteme, wie das der genossenschaftlichen Bankengruppe, sollen in einer europäischen Einlagensicherung aufgehen. Dies verletzt nicht nur Regeln des Bestandschutzes, sondern schafft auch eine Art Haftungsunion durch die Hintertür. Aus einem falsch verstandenen Solidaritätsbegriff sollen die Institutssicherungen der Kreditgenossenschaften und der Sparkassen geopfert werden.
Der staatliche Dirigismus wird auch bei zahlreichen Vorhaben sichtbar, die unter dem Deckmantel des Verbraucherschutzes daherkommen. Eigentlich ist es in einer freien Marktwirtschaft den Marktteilnehmern überlassen, wie sie ihre Vertragsbeziehung gestalten. Das gilt offenbar nur noch eingeschränkt. Geplante oder schon umgesetzte Preisdeckel und Verbote schränken die freie Vertragsgestaltung ein und stören die Kundenbeziehungen erheblich. Viele Banken fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Banken sollen doch – so jedenfalls Auftrag der Aufseher und Wunsch der Politik – ihre Einnahme- und damit Eigenkapitalbasis stärken und weiter in der Fläche präsent bleiben. Doch jedwedes Instrument, um all das leisten zu können, wird ihnen aus der Hand geschlagen.
Es ist einfach, Preisdeckel zu erfinden oder Verbote auszusprechen. Aber die Konsequenzen so eines Eingreifens? Die sind vielen, die so etwas fordern, offenbar nicht klar oder schlicht egal. Wer Provisionsberatung verbieten will, liefert große Kundengruppen – vor allem solche mit kleinem Geldbeutel – Marktkräften aus, die diese nicht überblicken können. Wer einen Deckel auf Dispozinsen fordert, übersieht, dass Banken sich dann genötigt fühlen könnten, solche Produkte nicht mehr anzubieten. Und wer die Preise für Abhebungen am Geldautomaten festschreiben will, der muss sich nicht wundern, wenn das Netz an solchen Automaten dünner wird.
Im Kern geht es um eine Politik, die Leistung belohnt, Anreize setzt und für Arbeitsplätze sorgt. Der Mittelstand prägt die deutsche Volkswirtschaft. Er braucht Raum für Eigenverantwortung und freies Unternehmertum. Das gilt für mittelständische Bankengruppen ebenso. Seit einigen Jahren stimmt der Kurs nicht mehr ganz und es bedarf der Korrekturen.
Den Weg dazu wiederum können zum Beispiel Genossenschaften weisen. Sie haben immer wieder Hilfe zur Selbsthilfe zum Wohle von Mitgliedern und Gesellschaft geleistet. Ihr Erfolg gründet auf Eigenverantwortung, Selbstverwaltung und Selbsthilfe. Diese Werte-Trias zu fördern und einzufordern sollte ganz nach vorne auf die politische Agenda. Abkehr von Staatsdirigismus, Mut zu Initiative und Eigenverantwortung, das sollten die politischen Leitlinien nach der Bundestagswahl sein.
Jürgen Gros
ist Vorstandsvorsitzender und Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern. Foto: Oliver Bodmer