Wie aus Lebensmittelabfällen Kerosin wird

von Redaktion

Von Elmar Stephan

Werlte – Da, wo die Revolution im Luftverkehr startet, landet kein Flieger. Es riecht deutlich nach Landwirtschaft. Dichtgewachsene Maisfelder umschließen eine Biogasanlage im nördlichen Emsland bei Werlte. Hier sind die Bedingungen ideal, um klimaneutralen Flugzeugtreibstoff herzustellen. Heute soll die Anlage in Betrieb genommen werden.

„Ich musste lange suchen, um einen geeigneten Standort zu finden“, sagt Dietrich Brockhagen, Geschäftsführer der Atmosfair gGmbh, einer gemeinnützigen Organisation aus Berlin. Dieser Standort ist in der niedersächsischen Provinz – wo Biogasanlagen und Windkrafträder fast an jeder Kreuzung stehen.

„Von der Biogasanlage brauchen wir nur das Kohlendioxid“, sagt Brockhagen. Zu dem Gas kommt Wasserstoff, das mit Windstrom hergestellt wird. Wasserstoff und Kohlendioxid werden in der Anlage, die hinter der Biogasanlage des regionalen Energieversorgers EWE gebaut wurde, über chemische Prozesse zu Rohkerosin verarbeitet. Zum Flugtreibstoff wird es in der Raffinerie Heide nördlich von Hamburg weiterverarbeitet, die es an den Hamburger Flughafen liefert.

Damit es keinen Konflikt um Tank oder Teller gibt, wollte Brockhagen eine Biogasanlage, die keinen eigens angebauten Mais oder andere Pflanzen verarbeitet. Hier werden Abfälle der Lebensmittelindustrie aus der Region verarbeitet.

Die alten Windräder seien längst aus der Förderung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) herausgefallen. „Jetzt bekommen die Betreiber das Geld von uns“, sagt Brockhagen. Die Herstellung des Wasserstoffs gehe damit nicht auf Kosten der Energiewende.

Außerdem gibt es auf dem Gelände eine Anlage, die Kohlendioxid aus der Luft herauszieht. Das sei das eigentliche Ziel: Das CO2 nicht aus eigens angebauten Pflanzen oder aus der Industrie zu beziehen, sondern neutral zu wirtschaften. Nur CO2 soll hinterher in der Atmosphäre landen, das ihr vorher entnommen wurde, erklärt Brockhagen.

Das E-Kerosin soll der Luftfahrtbranche aus der Klemme helfen. Denn Flugzeuge können absehbar nicht auf flüssigen Treibstoff verzichten und auf Elektroantriebe umsteigen. Gleichzeitig muss sich aber auch die Luftfahrt auf den Weg zur Klimaneutralität machen. Nach Berechnungen des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums beträgt der Anteil der Luftfahrt am menschengemachten Klimawandel 3,5 Prozent. Also sucht die Branche klimaneutralen Treibstoff.

Für Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) muss auch der Luftverkehr einen Beitrag leisten, damit Deutschland bis 2045 Klimaneutralität erreiche: „Mit den richtigen Rahmenbedingungen finden strombasierte flüssige Flugkraftstoffe jetzt den Weg aus dem Labor in den Markt.“

Auch Greenpeace begrüße die Anlage im Emsland grundsätzlich, sagt Sprecher Gregor Kessler. Aber: Um allein das in Deutschland 2018 vertankte Flugbenzin durch synthetisches Kerosin zu ersetzen, wäre die gesamte deutsche Jahresproduktion an Windstrom nötig gewesen. „Damit die E-Fuels-Pläne aufgehen, brauchen wir einen Ausbauturbo für die Erneuerbaren“, sagt Kessler.

Allerdings könne E-Kerosin allein das Klimaproblem der Airlines nicht lösen. Zwei Drittel des Klimaschadens eines Flugs entstehen laut Kessler durch Kondensstreifen in großer Höhe. Deshalb müsse die Zahl der Flüge insgesamt sinken.

Die Lufthansa ist Pilotkundin für den Treibstoff. Aktuell sei das Unternehmen der größte Abnehmer nachhaltiger Flugkraftstoffe (SAF) in Europa, sagt Christina Foerster vom Konzernvorstand. Synthetische Kraftstoffe aus erneuerbaren Energien seien das Kerosin der Zukunft und ermöglichten CO2-neutralen Luftverkehr. Mit dem Bezug des E-Kerosins wolle Lufthansa der Herstellung und Produktion „wichtigen Rückenwind“ geben.

Synthetisch erzeugtes Kerosin verspreche die höchsten Einsparungen an Treibhausgasemissionen und müsse deshalb durch den angedachten Produktionshochlauf und langfristig verlässliche Rahmenbedingungen wirtschaftlich attraktiv gemacht werden, betont auch Melanie Form, Leiterin der Geschäftsstelle der Aviation Initiative for Renewable Energy in Germany e.V. (aireg). Das Projekt brauche daher Nachahmer.

Bislang gibt es die Produktion von synthetischem Flugtreibstoff nur in kleinem Maßstab. Die Anlage im Emsland sei da schon ein gewaltiger Sprung nach vorn, sagt Brockhagen. Erstmals werde nämlich synthetisches Kerosin in industriellem Maßstab hergestellt. Allerdings ist auch sie nur ein kleiner Tropfen in einem riesigen Fass: Sie wird 8 Fässer Kerosin am Tag herstellen können, das entspricht einer Tonne Treibstoff. Aber allein ein Airbus A 350 verbrauche 5 Tonnen Kerosin pro Flugstunde, erklärt Brockhagen.

Anlagen zur Herstellung synthetischen Kerosins sollten am besten in südlichen Ländern gebaut werden. Dort seien die Energiekosten niedrig. „Wenn wir etwa in Äthiopien 10 Megawatt Strom für die Anlage erzeugen, wollen wir nochmals extra 10 Megawatt für die Menschen dort abgeben“, sagt Brockhagen.

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