Luxemburg – Mehrere Euro-Länder fordern ein gemeinsames europäisches Vorgehen gegen die drastisch steigenden Energiepreise. Der französische Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire nannte den Gaspreisanstieg „brutal“. Er sprach sich für eine „bessere Regulierung“ und langfristige Lieferverträge aus. Dabei verwies er auf die Ankündigung der französischen Regierung von vergangener Woche, die Strom- und Gaspreise bis April einzufrieren. Angesichts der nötigen Milliarden-Investitionen in klimafreundliche Techniken sei aber auch die CO2-neutrale Atomenergie eine „Schlüssel-Antwort“, meinte Le Maire.
Die spanische Wirtschaftsministerin und Vize-Regierungschefin Nadia Calviño brachte eine gemeinsame „strategische Gasreserve“ der EU ins Gespräch. Der griechische Finanzminister Christos Staikouras forderte ebenfalls „eine europäische Antwort“. Vertreter der EU-Kommission äußerten in Luxemburg die Ansicht, dass der Preisanstieg nur „vorübergehend“ sei. Auch das Bundeswirtschaftsministerium hatte für Abwarten plädiert. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema.
Wie hat sich der Energiepreis zuletzt entwickelt?
Seit Anfang des Jahres steigen internationale Energiepreise rasant. Laut Simone Tagliapietra von der Denkfabrik Bruegel liegt das vor allem am Gaspreis. Der Großhandelspreis von Erdgas ist zwischen Januar und Oktober um rund 440 Prozent gestiegen. Gas wird zum Heizen genutzt, aber auch zur Stromerzeugung – der fossile Brennstoff hat also auch Einfluss darauf, wie viel Strom kostet. In Deutschland ist Strom an der Börse seit Januar rund 140 Prozent teurer geworden, in Italien 340 Prozent und in Spanien sogar 425 Prozent. Rund drei Viertel des Strompreises werden hierzulande nicht durch die Energiekosten, sondern Steuern, Umlagen und Netzentgelte bestimmt.
Was bedeuten die hohen Preise für Verbraucher?
Der Preisanstieg spiegelt sich auch in den Strom- und Heizkostenrechnungen von Haushalten wider – auch wenn noch nicht so dramatisch wie im Großhandel. Laut dem Portal Check24 sind die Heizkosten in Deutschland im September im Vergleich zum Vorjahr um 33 Prozent gestiegen. Für Strom zahlten Verbraucher 4 Prozent mehr.
Warum sind die Preise so rasant gestiegen?
Es gibt verschiedene Faktoren. Zunächst ist die Nachfrage nach Energie während der Erholung von der Corona-Pandemie weltweit gestiegen, da die Wirtschaft wieder mehr produziert. Gleichzeitig ist das Angebot an Energie gesunken – etwa durch Dürren in Brasilien, wo viel Strom aus Wasserkraft produziert wird. Dann war die Witterung ungünstig. Zudem wird vermutet, dass große Firmen die Entwicklungen am Markt ausnutzen. Georg Zachmann von Bruegel sagt, der russische Gasproduzent Gazprom habe zwar seine Lieferverträge mit Europa erfüllt, jedoch die Nachfrage darüber hinaus trotz der attraktiven Preise nicht bedient.
Hat die Energiewende etwas mit dem Preisanstieg zu tun?
Kritiker machen dafür auch Klimaschutzmaßnahmen verantwortlich. Der Preis von Kohlenstoffdioxid (CO2) im Handel mit Emissionsrechten ist gestiegen, was die Energieerzeugung aus Kohle unattraktiver macht, aber auch Strom teurer machen kann, wenn es keine Alternativen gibt. Im Emissionshandelssystem der EU müssen etwa Stromanbieter für den Ausstoß von Treibhausgasen wie CO2 zahlen. Kritiker fürchten, dass eine Ausweitung des Systems Verbraucher zusätzlich belastet. Der Handel mit Emissionsrechten ist laut Tagliapietra nur für ein Fünftel des Preisanstiegs verantwortlich. Das EU-System habe zudem dafür gesorgt, dass Kohle bei den hohen Gaspreisen keine Alternative wird – und so höhere Emissionen verhindert. Aus Sicht von Zachmann kann die Alternative nur Energieeffizienz und sauberer Strom sein.
Ist der Anstieg temporär?
Politiker und Experten halten den Preisanstieg für vorübergehend. Thilo Schäfer vom Forschungsinstitut IW schätzt, dass es eine Erholung geben könnte, sobald sich die Reserven wieder füllen oder Nord Stream 2 in Betrieb geht. Laut Tagliapietra könnte sich der Gaspreis bis April halbieren.
Wie reagieren die EU-Staaten?
Einige EU-Länder haben Maßnahmen eingeleitet, um Verbraucher zu schützen. Frankreich hat eine Tarifbremse für Strom und Gas angekündigt und will ärmeren Haushalten je 100 Euro zahlen. Italien will drei Milliarden Euro ausgeben, um Haushalten einen Teil ihrer Strom- und Gasrechnungen zu erlassen, etwa durch Steuersenkungen. Spanien hat Maßnahmen auf EU-Ebene gefordert, etwa eine gemeinsame Plattform für Gaseinkäufe. Luxemburg macht Spekulation am Gasmarkt für den Preisanstieg mitverantwortlich und schlug eine Überarbeitung der EU-Richtlinie vor. „Wir müssen das extrem spekulative Verhalten einiger Händler unterbinden“, sagte Luxemburgs Energieminister Claude Turme. Polen fordert ein Umdenken im EU-Emissionshandel.
Was kann die EU tun?
Kurzfristig kann die EU wenig eingreifen, sagen Experten. Es liege bei den Mitgliedstaaten, die sozialen Konsequenzen abzufedern, so Schäfer. Die EU-Kommission kann laut Tagliapietra die Staaten beraten und Maßnahmen koordinieren, vor allem, um Marktverzerrung zu verhindern. Langfristig sollte die EU ihr Klimapaket schneller umsetzen, um die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu reduzieren, sind sich Experten einig. Gas billiger zu machen, löse langfristig nicht das Problem, sagt Zachmann.