Die Amtszeit von Angela Merkel war vor allem auf die Bewältigung von Krisen ausgerichtet: Finanzkrise, Schuldenkrise, Flüchtlingskrise und zuletzt die Corona-Krise haben ordnungspolitische Visionen – sofern vorhanden – stets in den Hintergrund treten lassen. So hinterlässt die Bundeskanzlerin am Ende ihrer Amtszeit ein Land, das insgesamt erfolgreich durch diese von großen Krisen geprägten 16 Jahre gekommen ist. Zugleich besteht aber erheblicher Nachholbedarf, wenn es darum geht, langfristige Herausforderungen anzugehen.
Die drei größten sind dabei der Klimawandel, die demografische Entwicklung und die digitale Transformation. Beim Klimaschutz hat Deutschland lange Zeit zu zögerlich und vor allem zu kleinteilig agiert. Hier muss die nächste Regierung endlich vom Formulieren von Zielen ins entschlossene Handeln kommen.
Entschlossenheit darf aber nicht eine Flucht in Verbote und Subventionen bedeuten. Denn dadurch würden unternehmerische Initiative und Kreativität ausgebremst, und die Kosten für die Gesellschaft würden stark steigen. Deutlich effizienter wäre ein marktwirtschaftlicher Weg, bei dem die Erhöhung des CO2-Preises im Mittelpunkt steht – eng verbunden mit einem sozialen Ausgleich für die zusätzlichen Belastungen durch eine Rückführung der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung an die Bevölkerung, aber auch mit einem ernsthaften Bemühen um internationale Koordination.
Das demografische Problem, auf das Deutschland zusteuert, wurde in der Ära Merkel vernachlässigt und durch manche Reformen sogar verschärft. In den nächsten Jahren werden Millionen erfahrene Beschäftigte in den Ruhestand wechseln, während nicht annähernd so viele junge Menschen neu auf den Arbeitsmarkt kommen. Dies führt bereits jetzt zu Fachkräfteengpässen und gefährdet langfristig die Stabilität der sozialen Sicherungssysteme.
Zudem wird die Lebenserwartung ab dem Alter 65 erfreulicherweise weiter ansteigen. Dies bedeutet aber auch, dass wir perspektivisch länger arbeiten müssen, wenn wir unseren Wohlstand halten wollen. Sinnvoll wäre es, den Renteneintritt zu flexibilisieren und sich jetzt schon darauf zu einigen, die nach dem Jahr 2030 statistisch gewonnenen Lebensjahre zwischen Erwerbstätigkeit und Ruhestand aufzuteilen.
Die digitale Transformation wird unsere Gesellschaft und insbesondere die Arbeitswelt in den kommenden Jahrzehnten weiter dramatisch verändern. Auch wenn so manche Unternehmen mit Innovationen voranschreiten, ist Deutschland bei der digitalen Infrastruktur und der Digitalisierung des Verwaltungshandelns ins Hintertreffen geraten. Dies hat sich in der Corona-Pandemie im öffentlichen Gesundheitswesen und im Bildungsbereich deutlich gezeigt.
Zudem schreiten die Wettbewerber, insbesondere China und die USA, in Zukunftsbereichen wie der Künstlichen Intelligenz und der Biotechnologie unaufhaltsam voran. Wenn Deutschland eine führende Industrienation bleiben soll, muss die nächste Bundesregierung diesen Themen eine deutlich höhere Priorität einräumen. Dabei muss sie sich aber eng mit den europäischen Partnern abstimmen.
Und sie darf nicht in die Falle tappen, die Notwendigkeit zu eigenem strategischen Handeln mit einer Aufforderung zu protektionistischen Interventionen zugunsten einzelner Unternehmen und Branchen zu verwechseln. * Prof. Dr. Christoph M. Schmidt ist Präsident des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und Professor an der Ruhr-Universität Bochum.