„Der Lotse geht von Bord“

von Redaktion

VON ROLF OBERTREIS

Frankfurt – Völlig überraschend hat Bundesbank-Präsident Jens Weidmann am Mittwoch zum Jahresende seinen Rücktritt angekündigt und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier um seine Entlassung gebeten. „Ich bin zur Überzeugung gelangt, dass mehr als zehn Jahre ein gutes Zeitmaß sind, um ein neues Kapitel aufzuschlagen – für die Bundesbank, aber auch für mich persönlich“, schreibt der 53-Jährige. Genaue Gründe nennt er nicht.

In der Politik und in Finanz- und Notenbank-Kreisen bedauert man die Entscheidung. „Mein großer Dank gilt Jens Weidmann für sein außerordentliches Engagement an der Spitze der Bundesbank“, sagt Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Er habe nicht nur die Geldpolitik in Deutschland und Europa in dieser Zeit maßgeblich geprägt, sondern auch die Weiterentwicklung der internationalen Finanzmärkte vorangebracht. „Jens Weidmann hat sich um unser Land sehr verdient gemacht.“

Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) sagte, sie respektiere den Schritt Weidmanns. „Doch ich bedauere seine Entscheidung auch zutiefst“.

„Schade, sehr schade. Damit geht der Lotse von Bord, der immer für eine stabilitätsorientierte Geldpolitik eingetreten ist“, sagte der frühere Bundesbank-Vizepräsident Franz-Christoph Zeitler. „Man kann der neuen Bundesregierung und insbesondere dem neuen Bundeskanzler nur dringend raten, die Nachfolge nicht unter parteipolitischen Gesichtspunkten oder kurzfristigen haushaltstaktischen Überlegungen vorzunehmen, sondern in der erfolgreichen Stabilitätstradition der Bundesbank zu bleiben, die schließlich das Vorbild für die Europäische Währungsunion und den Euro war und es auch bleiben sollte“.

Weidmann ist Mitglied des EZB-Rates. Wer am 1. Januar an die Spitze der Bundesbank ist völlig unklar.

Weidmann steht seit Mai 2011 an der Spitze der Bundesbank. Er war damals mit 43 Jahren der jüngste Kandidat, der je auf den Chefsessel rückte. Sein Vertrag läuft eigentlich noch bis April 2027. Der frühere enge Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel wäre am 1. November 2019 gerne Präsident der EZB geworden, musste aber Lagarde den Vortritt lassen, weil zeitgleich Ursula von der Leyen zur Präsidentin der EU-Kommission ernannt wurde. Weidmann hatte gleichwohl danach betont, er bleibe gerne an der Spitze der Bundesbank. Dort wie auch international war er durch sein enormes Wissen, aber auch durch seine freundliche, umgängliche und offene Art geschätzt.

Weidmann war zwar grundsätzlich für die Anleihe-Käufe und die Corona-Krisenprogramme der EZB, gehörte aber stets zu den Kritikern, die eine klare Perspektive für den Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik forderten und fordern.

In seinem Brief an die Beschäftigten der Bundesbank spricht der 53-Jährige von einer ereignisreichen Zeit seiner Präsidentschaft. Dabei sei es ihm stets wichtig gewesen sei, dass die klare, stabilitätsorientierte Stimme der Bundesbank deutlich hörbar bleibe. Aber Weidmann bekräftigt auch seine Bedenken. „Die zahlreichen geldpolitischen Notmaßnahmen waren jedoch auch mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden und im andauernden Krisenmodus wurde das Koordinatensystem der Geldpolitik verschoben.“

„Krisenmaßnahmen mit ihrer außergewöhnlichen Flexibilität sind nur in der Notsituation, für die sie geschaffen wurden, verhältnismäßig“, stellt Weidmann auch klar. Eine stabilitätsorientierte Geldpolitik werde dauerhaft nur möglich sein, wenn der Ordnungsrahmen der Währungsunion die Einheit von Handeln und Haften sichere, die Geldpolitik ihr enges Mandat achte und nicht ins Schlepptau der Fiskalpolitik oder der Finanzmärkte gerate. „Dies bleibt meine feste persönliche Überzeugung genauso wie die hohe Bedeutung der Unabhängigkeit der Geldpolitik“.

Die Bundesbank selbst habe sich zu einer offenen, transparenten und nahbaren Institution entwickelt, der die Menschen vertrauen könnten. Und dies auch durch das Engagement und die Ideen der Beschäftigten der Notenbank, so Weidmann.

Weidmann ist nach Karl Otto Pöhl und seinem Vorgänger Axel Weber der dritte Bundesbank-Präsident, der vorzeitig zurücktritt. Pöhl hatte das Amt wegen des Streits mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl über die deutsch-deutsche Währungsunion aufgegeben, Weber wegen Kritik am Kurs der EZB in der Staatsschuldenkrise.

Banken-Präsident und Deutsche Bank-Chef Christian Sewing nennt Weidmann „einen starken Präsidenten“, dessen Stimme in der Geldpolitik auch international hoch geachtet sei. Von einem herben Verlust spricht Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. Weidmann gehöre zu den wenigen Mahnern im Rat, die kontinuierlich vor einer Überforderung der Geldpolitik und einer zu großen Nähe zur Fiskalpolitik warnten.

Commerzbank-Chef-Volkswirt Jörg Krämer vermutet, dass Weidmann wohl auch zurücktrete, „weil er sich im EZB-Rat mit seinen Vorstellungen häufig nicht durchsetzen konnte“. Weidmann habe sich als Bundesbankpräsident hohe Reputation erworben durch Expertise in ökonomischen Fragen über die Geldpolitik hinaus und als eine wichtige Stimme für Stabilitätsorientierung in der Geld- und Finanzpolitik, betont Clemens Fuest, Präsident des Münchner Ifo-Instituts. Fuest wünscht sich, dass Weidmanns Nachfolgerin oder Nachfolger ähnlich nachdrücklich für stabiles Geld und solide Staatsfinanzen in Europa eintritt. Als Nachfolgerin wäre Vize-Präsidentin Claudia Buch eine Option.

Holger Schmieding, Chef-Ökonom der Berenberg-Bank bringt EZB-Direktorin Isabel Schnabel ins Gespräch. Sie vertrete im EZB-Rat allerdings den „Mainstream“. Heinemann warnt vor einer solchen Entscheidung. „Wenn Deutschland eine geldpolitische Taube in den EZB-Rat schicken würde, wäre das fatal.“ Commerzbank-Ökonom Krämer sieht genau diese Entwicklung . „Eine neue Bundesregierung wird wohl kaum einen Bundesbankpräsidenten berufen, der im EZB-Rat wieder im Gegensatz zur Mehrheitsmeinung steht.“

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