Frankfurt – Einen Tag nach seiner Rücktrittsankündigung gewinnt die Debatte um eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger für Bundesbank-Präsident Jens Weidmann an Fahrt. Allerdings kristallisiert sich keine Favoritin und kein Favorit heraus. Klar ist: Einen Vorschlag wird nicht mehr die aktuelle Regierung unterbreiten, sondern die mutmaßlich aus SPD, Grünen und FDP formierte neue Ampel-Koalition.
Da es noch einige Wochen dauern dürfte, bis eine neue Regierung im Amt ist, wird ein Personal-Vorschlag für das Spitzenamt in der Bundesbank möglicherweise gar nicht mehr in diesem Jahr vorgelegt. Damit ist auch unwahrscheinlich, dass es schon zum 1. Januar nächsten Jahres einen neuen Bundesbank-Präsidenten oder eine neue Präsidentin geben wird. Schließlich hat der Vorstand der Bundesbank das Recht zur Anhörung der Kandidatin und des Kandidaten, bevor es zur Ernennung durch den Bundespräsidenten kommt.
Weidmann tritt, wie er sagt, aus persönlichen Gründen zurück. Beobachter vermuten allerdings, dass sich dahinter ein gehöriges Maß an Frust über den Kurs der EZB und die Tatsache verbirgt, dass seine Bedenken immer weniger gehört wurden und werden. Andere glauben, dass es auch mit dem anstehenden Regierungswechsel in Berlin zu tun haben könnte. Angesichts der großen Herausforderungen etwa in Sachen Klima und Digitalisierung und den damit verbundenen hohen Investitionen nicht nur in Deutschland müsse die EZB ihren großzügigen Kurs beibehalten, um mit weiter niedrigen Zinsen und günstigen Finanzierungsbedingungen diese Investitionen zu erleichtern. Dies wäre kaum im Sinne von Weidmann.
In Frankfurt werden derzeit mehrere mögliche Kandidaten gehandelt. Dazu zählen die deutsche EZB-Direktorin Isabel Schnabel und Bundesbank-Vize-Präsidentin Claudia Buch. Zu hören ist vereinzelt auch der Name der Wirtschaftswissenschaftlerin Veronika Grimm, Professorin an der Universität Nürnberg-Erlangen und seit 2020 auch Mitglied des Sachverständigenrates, womit sie zu den „Wirtschaftsweisen“ gehört. Genannt werden zudem Finanzstaatssekretär Jörg Kukies (SPD), Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), der bereits mehrere Jahre bei der EZB gearbeitet hat, und Volker Wieland, Professor für Monetäre Ökonomie in Frankfurt und wie Grimm Mitglied im Sachverständigenrat.
Der Bundesbank-Präsident wird auf Vorschlag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten bestellt, in der Regel für acht, mindestens aber für fünf Jahre. Vor der Berufung hat die Regierung laut Bundesbankgesetz den Vorstand der Bundesbank anzuhören. Der Präsident leitet den sechsköpfigen Vorstand der unabhängigen Notenbank. Vor allem ist er auch Mitglied im 25-köpfigen EZB-Rat und entscheidet damit mit über die Geldpolitik im Euroraum. Er vertritt Deutschland als Gouverneur im Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington, sitzt als Mitglied im Verwaltungsrat der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich – die als Notenbank der Notenbanken gilt – in Basel.
ROLF OBERTREIS