„Wir sind in einer Mangelwirtschaft“

von Redaktion

VON SEBASTIAN HÖLZLE

München – Die bayerische Wirtschaft befindet sich in einer merkwürdigen Zwischenwelt: Aufträge sind da, die Nachfrage ist hoch, und die Geschäftslage ist wieder so gut wie vor der Pandemie. Doch ein in der jüngeren Geschichte noch nie dagewesener Rohstoffmangel, hohe Energiepreise und eine drohende Verschärfung des Fachkräftemangels dämpfen die Euphorie. So lässt sich das Ergebnis der jüngsten Konjunkturumfrage zusammenfassen, die der Bayerische Industrie- und Handelskammertag (BIHK) gestern in München veröffentlicht hat. Dreimal im Jahr befragen die Kammern im Freistaat rund 3700 Mitgliedsunternehmen.

„Engpässe bremsen die Erholung der bayerischen Wirtschaft“, sagte BIHK-Hautgeschäftsführer Manfred Gößl. Betroffen ist demnach insbesondere die Industrie: 2020 habe die Industrie die bayerische Wirtschaft aus der Krise gezogen, jetzt gebe es einen Knick, sagte Gößl mit Verweis auf die Umfrage. 53 Prozent der bayerischen Industriebetriebe melden, dass Materialknappheit die Produktion „erheblich“ beeinträchtigt, 32 Prozent sind „teilweise“ beeinträchtigt. „Das sind Werte, die kannten wir nicht, das ist neu“, sagte Gößl. „Wir vermelden leider den Beginn einer Mangelwirtschaft.“

Hinzu kommen hohe Preise für Energie: Sahen in der Frühjahrsumfrage noch 41 Prozent der befragten Unternehmen steigende Energie- und Rohstoffpreise als Geschäftsrisiko an, sind es jetzt 55 Prozent. BIHK-Präsident Klaus Josef Lutz sagte: „Wir brauchen einen rapiden Ausbau der Stromnetze sowie von Wind- und Solaranlagen.“ Seiner Ansicht nach kann der Strombedarf aber selbst bei einem schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien auch in Zukunft nur durch den Import von Kohle- und Atomstrom aus dem Ausland gedeckt werden. „Wir werden nicht umhinkommen, gezielt Partnerschaften mit Frankreich, mit Österreich, mit Polen einzugehen“, sagte Lutz.

Das größte Geschäftsrisiko sehen die bayerischen Unternehmen aber im Fachkräftemangel: Bereits im Frühjahr sah fast jedes zweite Unternehmen (48 Prozent) in Bayern den Fachkräftemangel als Risiko, inzwischen sind es fast zwei Drittel (63 Prozent). „Das wird sich in den nächsten Jahren nicht entspannen, sondern dramatisch zuspitzen“, warnte Gößl. Im Jahr 2024 würden in der Spitze 286 000 Menschen aus dem Erwerbsleben ausscheiden. „Wir können auch nicht verstehen, warum die Politik das Problem kleinredet“, sagte er. Bis 2030 würden in Bayern Prognosen zufolge 650 000 Fachkräfte fehlen. BIHK-Präsident Klaus Josef Lutz sagte, ganz ohne Zuwanderung werde sich das Problem nicht lösen lassen.

Fast paradox wirkt es angesichts der Aussichten, dass die aktuelle Geschäftslage in den bayerischen Firmen kaum besser sein könnte. „Wir haben eine Stimmungslage wie zuletzt vor Corona“, sagte Gößl. „Rund die Hälfte der Firmen sagt, die Stimmung ist gut.“ Der BIHK-Konjunkturindex stieg entsprechend von 114 Punkten im Frühjahr auf jetzt 128 Punkte – den höchsten Wert seit Anfang 2019. Angesichts der Unsicherheiten bleibt Gößls Prognose für das kommende Jahr dennoch verhalten: „Wachstum ja, aber kein Boom.“

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