Statt Schulden sollen Regeln weichen

von Redaktion

Brüssel – Experten des Euro-Schutzschirms ESM schlagen in der Debatte über eine Reform des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes eine höhere Schuldengrenze vor. Die Ökonomen plädieren dafür, die Grenze für den gesamtstaatlichen Schuldenstand von den maximal erlaubten 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf 100 Prozent der Wirtschaftsleistung anzuheben. Das maximal zulässige jährliche Haushaltsdefizit soll unverändert bei drei Prozent bleiben, wie aus einem am Montag bekannt gewordenen „Diskussionspapier“ hervorgeht.

Die Autoren formulieren einen „Zwei-Säulen-Ansatz“, der eine Obergrenze für das Haushaltsdefizit von drei Prozent und einen Referenzwert für den gesamtstaatlichen Schuldenstand von 100 Prozent verwendet, der eine Ausgabenregel beinhalte. Die Ausgabenobergrenze solle sich am Trendwachstum eines Landes orientieren. Eine Reform des Paktes sei ohne eine Vertragsänderung möglich.

Wegen der Corona-Krise sollen die Schulden- und Defizitregeln nach bisherigem Stand auch 2022 ausgesetzt bleiben. Genutzt wurde die im Pakt vorgesehene allgemeine Ausweichklausel für den Krisenfall. Nach der Aufnahme von Rekordschulden in der Corona-Pandemie will die EU-Kommission aber die Haushaltsregeln vereinfachen. Schulden müssten schrittweise und auf eine realistische Art reduziert werden, um Wachstum nicht zu gefährden. Die Vorschriften wurden nach der Finanzkrise 2011 und 2013 nachgeschärft, gelten aber als kompliziert und oft politisch kaum durchsetzbar. Besonders Länder mit hohen Schulden wie Italien fürchten nun, dass eine rasche Rückkehr zu strengen Vorgaben dem Aufschwung schaden könnte.

ESM-Chef Klaus Regling hatte jüngst im „Spiegel“ gesagt: „Die finanzpolitischen Rahmenbedingungen sind heute andere als vor drei Jahrzehnten, und das wird auch so bleiben.“ Er verwies auf die niedrigen Zinsen, die es den Staaten erlauben würden, zu deutlich günstigeren Bedingungen Schulden aufzunehmen.

Widerspruch kommt aus der CSU. Finanzpolitiker Alexander Radwan lehnt die Forderung nach einer Anhebung des maximal zulässigen Gesamtschuldenstands von 60 auf 100 Prozent ab. Reformbedarf sieht er jedoch. Radwan plädiert dafür, das Regelwerk zu vereinfachen, und so den Raum für Interpretationen und Ausnahmen zu reduzieren. Diese Regeln müssten dann auch durchgesetzt werden, womit die Kommission sich schon immer schwergetan habe. Der CSU-Politiker schlug für die Kontrolle und Durchsetzung der Kriterien eine unabhängige Instanz vor.

Sieben von 19 Mitgliedsstaaten des Euroraums schaffen das Schuldenstandskriterium aktuell. Am weitesten davon entfernt ist Griechenland mit 207,2 Prozent Bruttoschuldenstand des Staatssektors im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Es folgen Italien, Portugal, Spanien und Frankreich. Auch Deutschland erfüllt das Maastricht-Kriterium mit 69,7 Prozent derzeit nicht (siehe Tabelle). Der Schuldendurchschnitt im Euroraum liegt bei 98,3 Prozent mit leicht abnehmender Tendenz – im Vorjahresquartal waren es exakt 100 Prozent.  mm, dpa

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