Materialmangel bremst Industrie aus

von Redaktion

VON FRIEDERIKE MARX

Wiesbaden/München – Angeschoben von der Kauflaune der Verbraucher hat die deutsche Wirtschaft ihre Aufholjagd nach der Corona-Krise im Sommer fortgesetzt. Lieferengpässe hinterließen allerdings erste Spuren. Das Vorkrisenniveau wurde noch nicht erreicht. Nach einer ersten Schätzung des Statistischen Bundesamtes stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im dritten Quartal gegenüber dem Vorquartal um 1,8 Prozent. Im zweiten Vierteljahr hatte es nach den jüngsten Zahlen einen Zuwachs um 1,9 Prozent gegeben. Ökonomen zufolge dürfte es mit dem deutlichen Wachstum erst einmal vorbei sein.

Getragen wurde die Konjunkturerholung nach Angaben der Behörde vor allem vom Privatkonsum. Die Einschränkungen zur Bekämpfung der Pandemie mit der zeitweiligen Schließung von Gaststätten, Fitness-Studios und Läden waren ab Mitte Mai schrittweise gelockert worden.

Die Industrie leidet dagegen unter Materialmangel und Lieferengpässen, die eine Folgewirkung der Corona-Krise 2020 sind. Im vergangenen Jahr war die globale Nachfrage eingebrochen. Mit der Konjunkturerholung zieht sie wieder kräftig an. Rohstoffe und Vorprodukte wie Halbleiter sind knapp und haben sich deutlich verteuert. Trotz gut gefüllter Auftragsbücher müssen manche Unternehmen die Produktion drosseln.

„Ohne die hartnäckigen Materialengpässe, die vor allem das produzierende Gewerbe einschränkten, hätte der Zuwachs der Wirtschaftsleistung noch höher ausfallen können“, argumentierte KfW-Chefvolkswirtin Friederike Köhler-Geib. Die Erholung sei aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Experten hatten mit einem Wachstum von 2,2 Prozent gerechnet.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag schätzt, dass das Vorkrisenniveau erst nach dem dritten Quartal 2022 erreicht werden wird. Gegenüber dem vierten Quartal 2019, also vor Beginn der Corona-Krise, lag das BIP in Europas größter Volkswirtschaft in diesem Sommer um 1,1 Prozent niedriger.

Zum Jahresende dürften die Probleme nun voll durchschlagen. „Mit den steil ansteigenden Corona-Infektionen und den länger anhaltenden Materialengpässen sind dunkle Wolken am Konjunkturhimmel aufgezogen“, meinte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Die deutsche Wirtschaft dürfte im vierten Quartal kaum noch wachsen.

Das Ifo-Institut schätzt die bislang durch Lieferengpässe ausgelösten Wertschöpfungsverluste in der deutschen Industrie auf knapp 40 Milliarden Euro. „Das ist gut ein Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung Deutschlands in einem Jahr“, erläuterte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. „Dieser Sand im Getriebe der deutschen Wirtschaft hemmt auch die gesamtwirtschaftliche Erholung.“ Hinzu kommen die gestiegenen Energiepreise, die nach Einschätzung von DZ-Bank-Chefvolkswirt Michael Holstein die Kaufkraft der privaten Haushalte in den Wintermonaten schmälern dürften. Angeheizt von den Energiekosten war die Inflation im Oktober auf 4,5 Prozent und damit auf den höchsten Stand seit 28 Jahren gestiegen. Eine höhere Inflation schwächt die Kaufkraft von Verbrauchern, weil sie sich für einen Euro dann weniger kaufen können als zuvor.

Angesichts der vergleichsweise großen Bedeutung der Industrie treffen die Lieferprobleme Deutschland härter als viele europäische Nachbarn. „Privater Konsum allein reicht nicht, damit eine ganze Volkswirtschaft mit kräftig wachsenden Ökonomien wie Frankreich mithalten kann“, meinte ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski.

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