München – Der 262 Jahre alte frühere Mischkonzern MAN ist inzwischen nur noch Nutzfahrzeughersteller und Teil von Traton und damit des VW-Konzerns. Der Umstieg auf Elektromobilität wird das Unternehmen verändern und hat gravierende Auswirkungen auf den Standort München. Wir sprachen mit MAN Chef Andreas Tostmann über aktuelle Herausforderungen.
Von Ihrem Büro aus sieht man auf die neue Lackiererei des MAN-Werks. Sie war ein Symbol dafür, dass das Werk zukunftssicher modernisiert wird. Dann kamen Einschläge, etwa Corona, und jetzt ein Personalabbau. Wie ist der Stand der Dinge?
Bei Corona weiß jeder, was es für einen Einfluss auf unsere Branche hat. Das Jahr 2021 ist im ersten Halbjahr ganz gut gelaufen. Wir sehen, dass unsere Neuausrichtung erste Früchte trägt. Leider war das dritte Quartal schwieriger. Problematische Themen sind Materialverfügbarkeit und Halbleitermangel. Das betrifft die gesamte Fahrzeugindustrie. Auch uns nimmt das etwas vom Rückenwind, den wir im ersten Halbjahr hatten.
Es fehlen Teile und Materialien, die Preise sind hoch. Wie sehr sind Sie betroffen?
Das Thema betrifft die ganze Branche. Wir sind innerhalb von Traton ganz gut aufgestellt, durch den Verbund mit Scania und Navistar, und auch im Schulterschluss mit Volkswagen, weil die Materialverfügbarkeiten in der ganzen Gruppe gemanagt werden. Trotzdem mussten auch wir die Produktion reduzieren. Wir könnten eigentlich mehr Absatz erzielen.
Jahrelang war das Problem mangelnde Nachfrage, jetzt fehlt es am Angebot.
Ja, es ist leider so, dass wir im zweiten Halbjahr davon ausgehen, dass der Absatz voraussichtlich niedriger ausfällt, als geplant.
Haben Sie im Augenblick Kurzarbeit?
Kurzarbeit wurde ganz grundsätzlich für das ganze Jahr 2021 und an allen deutschen Standorten von MAN Truck & Bus beantragt. Wir sind dabei, je nach Verfügbarkeit sehr flexibel zu steuern. Unser Beschaffungsteam macht gemeinsam mit den Logistikern einen herausragenden Job. Aber es ist so, dass wir nicht komplett durchproduzieren können.
Wie muss man sich das vorstellen?
Wir machen es so, dass einzelne Schichten ausfallen, aber auch mal ein ganzer Tag. Wir vermeiden aber, dass wir die Produktion komplett absenken.
Wie läuft es mit der Elektrifizierung?
Die Elektrifizierung im städtischen öffentlichen Nahverkehr wird sehr schnell zunehmen, weil die Städte auf CO2-freie Antriebe setzen. 2025 wird die Hälfte unserer neuen Busse alternativ angetrieben sein. Auf der Truck-Seite haben wir das erste Produkt im Angebot, und auch im Van-Bereich bieten wir mit eTGE ein starkes Fahrzeug. Die Elektrifizierung nimmt auch hier vor allem zunächst im Verteiler- und Regionalverkehr zu. Da gehen wir vorrangig von batterieelektrischen Produkten aus. Bis 2030 werden rund 60 Prozent aller neuen MAN-Verteiler-Lkw mit Zero-Emission-Antrieben ausgestattet sein. Im Fernverkehr werden es dann etwa 40 Prozent sein.
Ist auch hier der städtische Verkehr Vorreiter?
Man kann sich batterieelektrische Antriebe gut in kommunalen Fahrzeugen vorstellen, aber es wird auch auf der Langstrecke funktionieren. Wenn man die Lenkzeiten des Fahrers berücksichtigt, kommt man auf eine notwendige Reichweite von rund 350 Kilometer, bis durch die Lenkzeit eine Unterbrechung der Fahrt erfolgt. Mit bis zu 400 Kilometern Reichweite bei Einführung des elektrischen Fernverkehrs-Lkw sind wir im Truckbereich also gut positioniert. Das wird mit zunehmender Batterietechnik noch besser werden. Da können wir uns perspektivisch Reichweiten von bis zu 1000 Kilometern mit einmal Zwischenladen vorstellen. Das reicht weit über die Tagesfahrleistung eines Fahrers hinaus.
Zu Traton: Es wurde lange verhandelt, für welche Komponenten MAN und für welche Scania zuständig ist. Wird es durch die Elektrifizierung in vielen Bereichen daran Änderungen geben?
Darauf bereiten wir uns vor. Dafür haben wir beispielsweise das eMobility-Center in München eröffnet, um unsere Mitarbeiter zu qualifizieren, um unsere Prototypen zu bauen und damit den Wandel zu gestalten.
Es ist je auch ein Wandel der Arbeitswelt. Sie brauchen künftig andere Qualifikationen als bisher. Bilden Sie bereits anders aus?
Da spielt das eMobility-Center die entsprechende Rolle. Um Qualifikationen zu erlernen, aber auch um zu sehen, was wir brauchen. Für Hochvoltbatterien ist ein anderes Anforderungsprofil erforderlich als für die Mechanik eines Verbrennungsmotors. Das zu qualifizieren und zu erlernen ist Teil unserer Transformation. Im MAN eMobility Center erfolgt daher der gesamte Produktionsablauf einschließlich der Inbetriebnahme des Fahrzeugs. Zusätzlich gibt es Lerninseln für die Schulung. So erlernen alle Kolleginnen und Kollegen nach und nach in Theorie und Praxis die Prozessschritte und die notwendigen Fähigkeiten für die Montage von Elektro-Lkw.
Sie sind der zweitgrößte industrielle Arbeitgeber im Großraum München. Wenn jemand bei Ihnen anheuern will, was würden sie ihm empfehlen, sollte er mitbringen?
Interesse an künftigen Technologien, Dynamik und Flexibilität. Wir transformieren uns im Feld der Batterieelektrik, im Feld der Digitalisierung und im Feld des autonomen Fahrens. Das sind unglaublich spannende Themen, die weit über ein einzelnes Produkt hinausgehen. Hier können interessierte Menschen ein tolles Betätigungsfeld finden.
Sie nennen autonomes Fahren. Da gibt es Möglichkeiten, wo Nutzfahrzeuge abseits der Straßen in abgesperrten Bereichen bereits fahrerlos agieren könnten. Was tut sich da?
Wir haben im Hamburger Hafen Erfahrungen gesammelt, wo wir Trucks in einem abgeschlossenen Umfeld autonom betreiben können. Da gibt es keinen Fußgänger oder Radfahrer. Der Verkehr ist auf niedrige Geschwindigkeiten ausgelegt. Ein anderes Thema ist der Hub-to-Hub-Verkehr. Über längere Distanzen auf Autobahnen in einem gerichteten Verkehr, wo es keine Fußgänger gibt und keine Radfahrer, wo auch kein kreuzender Verkehr da ist. Hier aber gibt es den Anspruch, dass die Geschwindigkeiten im Verkehrsfluss höher sind. Damit könnte man batterieelektrisch auch größere Distanzen überbrücken.
Wie sieht die Zukunft des Standorts München aus?
München ist und bleibt unser Hauptsitz, Hauptproduktionswerk für Lkw mit Fahrerhausausstattung und Montage sowie das Zentrum der MAN-Entwicklung Wir haben für München definiert, dass hier das Thema Elektro-Truck mit Entwicklung und Produktion ausgearbeitet wird. Und dass diese Technologiewende hier stattfinden wird. Das ist ein klares Bekenntnis zum Standort München. Interview Martin Prem