München – Die etwas klebrige Flüssigkeit heißt AdBlue – eine Marke, die sich der Verband der Automobilindustrie (VDA) schützen ließ – vielleicht, weil sich der wirksame Hauptbestandteil, Harnstoff, nicht so gut vermarkten lässt. AdBlue ist der Schlüssel zu einer deutlichen Reduzierung des weithin gefürchteten Stickstoffdioxids in Diesel-Abgasen. Es gibt derzeit keinen wirksameren Weg, den Schadstoff in Abgasreinigungsanlagen von Dieselmotoren so weit zu reduzieren, dass er die geltenden Grenzwerte einhält. Damit sie das auch dauerhaft tun, werden Motoren, wenn der Stoff ausgeht, in einen Notbetrieb versetzt und laufen schließlich gar nicht mehr.
Das könnte zur traurigen Wirklichkeit auf Deutschlands Straßen werden. Denn AdBlue wird knapp. Und das liegt an den Energiepreisen. Denn Harnstoff wird aus Ammoniak hergestellt. Für Ammoniak braucht die Chemie- und Düngemittelindustrie Wasserstoff. Dieser Wasserstoff wird großtechnisch aus Erdgas hergestellt. Und Erdgas ist derzeit rekordverdächtig teuer.
Deshalb ist die Herstellung von AdBlue für die Produzenten nicht mehr rentabel. Viele haben deshalb die Produktion zurückgefahren oder ganz eingestellt.
Nun fehlt der Stoff – zunehmend. Im Pkw-Bereich ist laut ADAC noch kein akuter Mangel feststellbar, weshalb der Automobilclub derzeit auch nicht dazu rät, den Stoff in großen Kanistern zu horten. Denn das würde dem drohenden künftigen Mangel eher Vorschub leisten. Außerdem ist Horten ein schlechtes Geschäft: An Tankstellen mit AdBlue-Säulen ist das Gebräu meist für zwischen 50 und 90 Cent pro Liter zu haben. In Kanistern liegt der Literpreis meist über einem Euro und oft sogar ein Vielfaches über dieser Marke. Der ADAC hat bisher auch noch keine großen Preissprünge festgestellt.
Beim Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) ist der Kenntnisstand ein anderer. Denn die großen Nutzfahrzeuge brauchen auch wegen besonders strenger Abgasvorschriften ganz andere Mengen davon. Deshalb gehen die meisten Spediteure für die Harnstofflösung weder an die Tankstelle, noch in den Baumarkt. Sie kaufen sie möglichst direkt und billig meist in großen Mengen beim Erzeuger oder Großhändler. Deshalb sind für sie die Preissprünge ganz anders spürbar als für Pkw-Nutzer. Denn die Literpreise für Großverbraucher sind bereits von 9 auf 16 Cent gestiegen.
Das klingt nicht existenzbedrohend, ist aber in jedem Fall ein Symptom für sich abzeichnende Knappheit. Weil auch Lkw ohne den Stoff nicht mehr fahren könnten, drohen nun europaweit Ausfälle im Güterkraftverkehr. Und damit blühen uns Verhältnisse wie im vom Brexit geplagten Großbritannien. „Wenn die Transportunternehmer kein AdBlue haben, dann stehen die Lkw“, warnt BGL-Vorstandssprecher Dirk Engelhardt. „Und wenn die Lkw stehen, bleiben die Supermarktregale leer.“ Auch die ohnehin stark beeinträchtigten Lieferketten der Industrie wären erneut massiv gestört. Für den BGL gibt es eine Abhilfe: Eine nationale Bevorratungspolitik für AdBlue, wie sie Deutschland auch für Erdöl unterhält.