Banken fordern EZB-Antwort auf Inflation

von Redaktion

VON ROLF OBERTREIS

Frankfurt – Die Aussichten für das Wachstum in diesem und im nächsten Jahr bleiben mit geschätzten Raten von 4,2 und 4,5 Prozent nach Ansicht von Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing zwar positiv. Aber das sei nur ein pauschaler Indikator. „Die Zahl der potenziellen Krisenherde steigt“, warnte er am Montag zum Auftakt der Euro Finance Week in Frankfurt. Dazu zählt Sewing, seit Sommer auch Präsident des Bundesverbandes Deutscher Banken, auch die Inflation. Längst sei nicht ausgemacht, dass sie im nächsten Jahr wieder sinke. „Unsere Kunden richten sich alle darauf ein, dass die hohen Inflationsraten länger andauern werden.“

Sewing und andere Banker appellierten auf der Konferenz an die Europäische Zentralbank (EZB), „eher früher als später“ gegenzusteuern und die ultralockere Geldpolitik zu beenden. „Das vermeintliche Allheilmittel der vergangenen Jahre – niedrige Zinsen bei scheinbar stabilen Preisen – hat seine Wirkung verloren“, sagt Sewing. „Jetzt kämpfen wir mit den Nebenwirkungen.“

Auch Cornelius Riese, Co-Chef der genossenschaftlichen DZ Bank, zeigte sich auf der Konferenz verwundert über die Gelassenheit in den EZB-Türmen. Lange habe sie vor Deflation und damit dem Verfall der Preise bei einem gleichzeitigen Rückgang der Konjunktur gewarnt. „Jetzt stellt sich mir die Frage, wo das Problembewusstsein, das kommunizierte Problembewusstsein der EZB ist, was analog ist zum Thema Inflation.“

Auch Nicolo Salsano, Chef des Deutschland-Ablegers der britischen Großbank HSBC, sagte, er sehe das Thema Inflation nicht ganz so vorübergehend. In Deutschland war die Inflationsrate im Oktober auf 4,5 Prozent gestiegen, den höchsten Stand seit fast 28 Jahren. Ökonomen erwarten im November und Dezember möglicherweise sogar eine Fünf vor dem Komma. Auch in der Eurozone lag sie mit 4,1 Prozent so hoch wie seit 13 Jahren nicht mehr und deutlich über dem EZB-Ziel von zwei Prozent. Die Notenbank erwartet ab Anfang nächsten Jahres einen Rückgang der Preissteigerungsrate, weil Sondereffekte wegfallen, wie die zeitweise Mehrwertsteuersenkung im zweiten Halbjahr 2020 in Deutschland, die Energiepreise zurückgehen oder zumindest stabilisieren und auch die Lieferengpässe allmählich auslaufen würden.

Diese Position bekräftigte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Montag vor dem Europäischen Parlament. Sie räumte aber ein, dass der Rückgang der Inflation langsamer vonstattengehe als bislang erwartet. Aber auch 2022 erwartet sie keine Voraussetzung für eine Zinserhöhung. Gleichzeitig lasse das Wirtschaftswachstum aufgrund der Versorgungsengpässe und des Anstiegs der Energiepreise etwas nach.

Eine schnelle Entspannung bei den Preisen sehen Sewing und andere Banker nicht. Zudem ließen sich die Folgen der ultralockeren Geldpolitik mit Nullzinsen und Anleihekäufen in Billionenhöhe immer schwerer heilen, je länger die Zentralbanken an ihrem derzeitigen Kurs festhalten, sagt der Deutsche-Bank-Chef.

Ein massives Problem seien die Engpässe in den Lieferketten. „Es sind Engpässe, wie wir sie seit Jahrzehnten nicht kannten und die ein wenig an den Ölpreisschock in den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts erinnern – mit bekannten Folgen für die Preisentwicklung.“ Klar sei auch deshalb, dass es eine Rückkehr zum reibungslosen Welthandel der Vor-Corona-Zeit so schnell nicht geben werde. Auch die rapide steigende Verschuldung der Staaten bereitet Sewing Sorgen. Mit 226 Billionen Dollar sei sie so hoch wie nie zuvor. Allein im vergangenen Jahr sei sie um 27 Billionen Dollar gestiegen. „Das ist auf Dauer schlicht nicht tragbar und ist ein ständiger potenzieller Brandherd für die weltweiten Finanzmärkte.“

Angesichts der Unsicherheit gebe es zumindest eine gute Nachricht, hieß es bei Bankern in Frankfurt. Die Branche stehe heute wesentlich robuster da als noch vor zehn oder 15 Jahren. Auch in der Corona-Pandemie hätten sich die Institute, so Sewing, als krisenfest, stabil und profitabel erwiesen.

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